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Matthias Schwendemann hat in seiner Dissertation analysiert, wie Menschen mit Arabisch als Erstsprache die deutsche Syntax erlernen und welche individuellen Unterschiede es dabei gibt. Im Interview berichtet er u.a. davon, warum die Ergebnisse seiner Arbeit helfen könnten, die Gefahr institutioneller Diskriminierung für Deutschlernende zu reduzieren.

Das Deutsche hat eine recht variable Syntax, das heißt, wir können einen Satz wie „Wir unterhalten uns über Zweitspracherwerb.“ äußern, oder die Worte in einer anderen Reihenfolge wie in „Über Zweitspracherwerb unterhalten wir uns.“ anordnen. Steht das Verb am Anfang des Satzes, ergibt sich die Frage „Unterhalten wir uns über Zweitspracherwerb?“ Darüber hinaus können Teile der Äußerung auch beliebig erweitert werden – von Nebensätzen noch gar nicht gesprochen. Gerade für Lernende des Deutschen als Fremdsprache stellen die Fragen danach, an welchen Positionen im deutschen Satz die Verben potenziell stehen können, was um diese herum noch angeordnet werden kann und wie die entsprechenden Sätze dann in jeweiligen Kontexten anzuwenden sind, eine besonders komplexe Herausforderung dar. In seiner Dissertation beschäftigte sich Matthias Schwendemann deshalb mit der Frage, wie vor allem Menschen mit Arabisch als Erstsprache die deutsche Syntax erwerben.

Von allgemeinen Annahmen hin zu individuellen Unterschieden

Seine Untersuchung bewegt sich in einem Feld, das sich in Folge der Veröffentlichung einiger vielbeachteter, umfangreicher Studien aus den 80er- / 90er-Jahren zu einem der am meisten beforschten des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache entwickelte. Der frisch Promovierte fasst die Ergebnisse dieser Studien wie folgt zusammen: „Der Erwerb des Deutschen läuft im Bereich der Syntax in ganz bestimmten Schritten ab, die von allen Lernenden nacheinander durchlaufen werden. Dabei spielt es keine Rolle, welche Sprache jemand als Erstsprache spricht – am Ende stellt sich immer dieselbe Erwerbsreihenfolge ein. Aber,“ so relativiert er weiter, „ob diese klaren Reihenfolgen zum Beispiel nur durch die Verwendung ganz bestimmter Methoden sichtbar werden, ist eine ganz andere Frage und auch die Ergebnisse meiner Arbeit deuten in genau diese Richtung.“ Zwar gehörten die Erkenntnisse dieser klassischen Studien mittlerweile zum Grundwissen im Fach, dennoch oder vielmehr gerade deswegen hatte sich Schwendemann in seiner Arbeit ihrer kritischen Revision verschrieben – vor allem, was die Methodik betrifft.

Nach einem Grundstudium in Freiburg kam Schwendemann einst für den binationalen Masterstudiengang Deutsch als Fremdsprache im arabisch-deutschen Kontext nach Leipzig, in dessen Verlauf er für einige Zeit auch an der Ain Shams Universität in Kairo studierte. Nach einer DAAD-Sprachassistenz an der Birzeit Universität Ramallah (in den palästinensischen Autonomiegebieten) wurde er zum Koordinator einer Studie berufen, für welche das Herder-Institut zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften kooperierte. Die Studie beschäftigte sich im Rahmen des Zweitspracherwerbs von Erwachsenen mit Arabisch als Erstsprache u.a. damit, was in unseren Gehirnen passiert, wenn wir eine neue Sprache lernen und wie sie sich diesen neuen Anforderungen anpassen… und brachte Schwendemann die Inspiration für seine Dissertation. Nach Abschluss der Studie im Jahr 2019 kehrte er nunmehr als wissenschaftlicher Mitarbeiter zurück ans Herder-Institut. „Dies hat sich nach meiner Studienzeit hier tatsächlich ein wenig angefühlt wie nach Hause zu kommen“, so der Forscher.

Neue Erkenntnisse, die Lebenswege beeinflussen könnten

Mit den wissenschaftlichen Ergebnissen seiner Dissertation darüber, wie wir Sprachen lernen und wie Erwerb und Entwicklung in der Fremdsprache ablaufen können, möchte Schwendemann Ansatzpunkte für curriculare Entscheidungen und Anforderungen geben, die an Sprachlernende gestellt werden. Dies gelte dem Promovierten zufolge ganz besonders für Menschen, die Deutsch als Zweitsprache lernen – vor allem für Geflüchtete: „Die Gefahr von institutioneller Diskriminierung ist hier besonders hoch, deshalb müssten hier besonders umfangreiche Studien durchgeführt werden und darauf aufbauende Test- und Diagnoseinstrumente kritisch validiert werden“.

Dadurch, dass die bereits erwähnten Erwerbsreihenfolgen zum Teil als Grundlage für Sprachtests oder Diagnoseverfahren zur Bestimmung von Sprachständen verwendet werden und deren Ergebnisse sehr schwerwiegende Konsequenzen haben können, leistet Schwendemanns kritische Revision dieser Erwerbsstufen einen wichtigen Beitrag. „Hier könnte es beispielsweise um den Wechsel von einer Sprachvorbereitungsklasse in eine Regelklasse oder auch den Zugang zur Universität oder die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung gehen“, führt der Forscher beispielsweise an und ergänzt, „hier könnten Einordnungen aufgrund eines erhobenen Sprachstandes unter Umständen gravierende Folgen für die persönlichen Lebenswege der Testteilnehmenden haben und ich bin mir nicht sicher, ob eine erreichte Erwerbsstufe bei der sinnvollen Einschätzung eines Sprachstandes helfen kann.“

Auf dem Weg zur Erlangung des Doktorgrades kamen auch bei Schwendemann immer wieder Unsicherheiten über die berufliche Zukunft und hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten auf. Er hofft, gerade weil er damit nicht allein sei, „dass diese Themen auch in Zukunft die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen.“ Dennoch schätzt er sich dankbar, im Rahmen seiner Tätigkeit als Studienkoordinator am hiesigen Max-Planck-Institut einzigartige Daten zum Zweitspracherwerb erwachsener Lernender in einem großen Team gesammelt haben zu können sowie für die Hilfe, den Zuspruch und das Vertrauen seiner Betreuer*innen Christian Fandrych und Katrin Wisniewski, auch in Zeiten der Unsicherheit.

Nach seiner Promotion stehen für Schwendemann nun zwei größere Projekte an: zum einen ist er aktuell mit anderen Forschenden des Herder-Instituts dabei, im Rahmen des Projekts ExpoKo ein Korpus mit studentischen Essays von Studierenden mit Deutsch als Erst- / Zweit- und Fremdsprache aufzubauen. Dieses soll perspektivisch für Studierende der Universität Leipzig zu einer Ressource mit best practice-Beispielen zu bestimmten wissenschaftssprachlichen Formulierungen beim Verfassen von Exposés werden. Ebenso arbeitet er zusammen mit einem großen Leipziger Team im Projekt DAKODA mit der Computerlinguistik der Fernuniversität Hagen zusammen, um eine umfangreiche Datenbasis aus bereits existenten Lernerkorpora für die Erforschung von Lernersprache, d.h. die Sprache von Lernenden, zu schaffen. Dieses Projekt schließe sich sehr eng an seine Dissertation an, da eine solch große Datenmenge es erlauben würde, einen genaueren Blick darauf zu werfen, was Lernende wann und in welchen Kontexten sprachlich eigentlich tun.