Auf vielen Wegen ist es möglich, neue Sprachen zu erlernen: Es gibt Apps, Sprachkurse, Bücher und Arbeitshefte, man schreibt die Sprache, man hört sie, liest sie. Wo für Laien der Spracherwerb vielleicht als ein Hobby oder eine Leidenschaft erscheint, so ist in der Ausbildung von Übersetzer:innen entscheidend, welche Kompetenz ausgebildet werden sollten, damit die Übersetzung in andere Sprachen gelingt. Jie Li hat diese Verbindungen in ihrer Promotion untersucht: „Nicht nur zweisprachige Kompetenz, sondern auch motorische Fertigkeiten wie Geschicklichkeit oder Schnelligkeit sowie kognitive Ressourcen, also die Fähigkeit zu resümieren oder ein gutes Gedächtnis, sind Grunderfordernisse für Dolmetscher bzw. Übersetzer“, sagt sie dazu. Die Arbeit der Translation bestehe nicht nur aus Wörtern, es geht auch um den Prozess hinter der Übersetzung.
Jie Li hat nach ihrem Masterabschluss im Fach Germanistik an der Shanghai International Studies University beschlossen, diese Thematik an der Uni Leipzig zu vertiefen: „Die Uni Leipzig hat einen guten Ruf in linguistischen Wissenschaftsbereichen“, sagt Jie Li, „außerdem ist der Forschungsbereich meiner Arbeit ja deutsche Linguistik und so war es logisch, in Deutschland zu promovieren. Damit konnte ich zudem meine Sprach- und Kulturkenntnisse verbessern.“ Mit diesem Vorhaben kam Li im September 2016 nach Leipzig, spazierte gern als Ablenkung durch den Clara-Zetkin-Park oder besuchte die Kirschblüten vor dem Grassi-Museum. „In Leipzig gibt es viele Parks und Cafés. Dort traf ich mich mit Kolleg:innen und Freud:innen“, berichtet sie, „ich schrieb auch alleine mit meinem Laptop an vielen Orten.“ Durch die Coronasituation gestalteten sich manche Phasen jedoch eher schwierig. So war Jie Li besonders dankbar für das Klima am Institut, dem IALT, die Betreuung durch Prof. Klaus-Dieter Baumann und auch für die Unterstützung aus dem Dekanat.
Zentraler Aspekt ihrer Promotion war: Maschinellen Übersetzungsprogrammen fehlt die Besonderheit des verbalen Arbeitsgedächtnisses, das menschliche Übersetzer:innen mitbringen. „Zum Beispiel entwickeln die chinesischen Übersetzer:innen für die deutsche Sprache ein eigenes Sprach-Bild, welches im Arbeitsgedächtnis verankert wird. Das speziell habe ich untersucht. Dadurch entwickeln sie ein Bewusstsein für die spezifischen Kontexte, Konzepte und Ideen, welche eine Sprache in ihrer Einzigartigkeit ausmachen“, erläutert Jie Li. In anderen Worten bedeutet dies, dass jede Sprache eine eigene Art von Umwelt darstellt, welche die Übersetzer:innen in jeweils eigenen sprachspezifischen Bildern darstellen und wiedergeben. „Jede Sprache ist eine eigene Welt mit eigenen besonderen Anforderungen“, ergänzt Jie Li, „hieraus ergeben sich neue Ansätze für die Förderung der Sprachpädagogik.“
Zukünftig sollten so neben dem Sprachtraining auch Gedächtnisübungen sowohl in der Muttersprache als auch in der Fremdsprache angeboten werden, durch die sich die Übersetzungskompetenz verbessern lässt. Denn wer sich gut Aspekte einer Sprache merken kann, ist ebenso gut darin, diese zu verarbeiten, um die Sprache aktiv zu benutzen. Eine Sprache zu erlernen, ist ein komplexer Prozess, der nicht nur eine einzige Grundformel besitzt und für jede Sprache unterschiedlich abläuft. „Dazu müsste es mehr Forschung in verschiedenen Sprachfeldern geben, denn meine beschäftigt sich nur mit dem Chinesischen“, sagt Jie Li, „des Weiteren muss das Hin- und das Herübersetzen beobachtet werden.“
Nach ihrer Promotion ging Dr. Jie Li als Austauschsprachlehrerin an die Uni Heidelberg: „In Zukunft bleibe ich weiter in der Wissenschaft und werde entweder Chinesisch als Fremdsprache in Deutschland oder Germanistik in China unterrichten“, erzählt sie. Auch ein neues Forschungsthema hat sie bereits gefunden: die Sino Sci Fic, also chinesische Science-Fiction Erzählungen, welche seit kurzem immer populärer werden – auch eine ganz eigene Art von Umwelt. Mit Filmabenden und Präsentationen versucht Sie der Heroisierung in Sino Science-Fiction zwischen 1898 und 1911 auf den Grund zu gehen.