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Christian Schmidt ist seit dem 01.04.2023 Juniorprofessor für Deutsche Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit an der Philologischen Fakultät, Institut für Germanistik.

Was haben Sie studiert und über welche Stationen führte Ihr Weg an die Universität Leipzig?

Christian Schmidt: Ich habe an der Universität Hamburg Germanistik und Historische Musikwissenschaft studiert und wurde dort am Graduiertenkolleg „Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit“ mit einer Arbeit zu Drama und Meditation im 16. Jahrhundert promoviert. Anschließend war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Deutsche Philologie der Universität Göttingen, wo ich an einem externen Teilprojekt des Freiburger Sonderforschungsbereichs „Muße“ mitwirken durfte. Das letzte Jahr vor meiner Berufung nach Leipzig war ich wiederum in Hamburg wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Projekt der Forschungsgruppe „Geistliche Intermedialität in der Frühen Neuzeit“.  

Wo liegen Ihre Forschungsinteressen und was fasziniert Sie daran?

CS: Meine Forschung widmet sich Texten des 13.–17. Jahrhunderts, besonders aus dem Bereich der geistlichen Literatur, zum Beispiel Spielen und Dramen, legendarischen Erzählungen, der Gebets- und Meditationsliteratur und den Traktattraditionen. Die Germanistik hat diesen Bereich nie ganz außer Acht gelassen, aber lange Zeit wurde er durch die großen Namen und Werke etwa der höfischen Literatur an den Rand gedrängt. An den Rändern aber gibt es oftmals die interessantesten Dinge zu sehen, zumal sich das Verhältnis von Randständigem und Populärem auf eigentümliche Weise umkehrt, wenn man die Überlieferung betrachtet: Es gibt literaturgeschichtliche Schätzungen, die für das 15. Jahrhundert davon ausgehen, dass zwischen 80% und 90% der deutschsprachigen Überlieferung geistlich geprägt waren. Hier besteht noch die Möglichkeit, Werke zu erschließen und zu interpretieren, die zum Teil weder in wissenschaftlichen Editionen vorliegen noch durch große Mengen von Sekundärliteratur bereits bearbeitet wurden. Es ist ein faszinierendes Unterfangen, die Welten dieser Texte in Handschriften und alten Drucken in Augenschein zu nehmen und sich ihrer Andersartigkeit, ihrer Sperrigkeit und ihren eigenen ästhetischen Ansprüchen auszusetzen.

In welchen Studiengängen werden Sie unterrichten und welche Ziele verfolgen Sie dabei?

CS: Meine Lehrveranstaltungen richten sich an die Bachelor-, Master- und Lehramtsstudierenden der Germanistik, wobei ich gemäß meiner Denomination jeweils ein Seminar in der Älteren und ein Seminar in der Neueren deutschen Literatur anbieten werde. Literaturwissenschaft ist eine „Kunst des Lesens“ – etwas von dieser Kunst zu vermitteln, ist das Ziel meiner Lehrveranstaltungen. Es geht hierbei um ein Lesen, das darum bemüht ist, die Texte zu ihrem Recht kommen zu lassen; ein Lesen also, das die Freiheit hat, nicht sofort mit einer Meinung auf das Gelesene reagieren zu müssen, sondern sich einer im eigentlichen Sinne kritischen Auseinandersetzung hinzugeben. Das ist anspruchsvoll, bringt hohen Zeitaufwand und Überforderungen, aber auch das Glück der Überraschung und der Erkenntnis mit sich. Die Literaturwissenschaft hat eine Menge großartiger Hilfsmittel zur Verfügung, die es erlauben, in diese Erfahrung hineinzufinden. Darum geht es in meinen Seminaren. Dieses Semester geht es los mit einer Verserzählung Hartmanns von Aue aus dem späten 12. Jahrhundert und dem Schultheater Christian Weises aus dem späten 17. Jahrhundert – ich freue mich schon sehr darauf!

Mit welchen Bereichen an den anderen Instituten der Fakultät oder an anderen Fakultäten sehen Sie inhaltliche Schnittmengen oder Potential für eine Zusammenarbeit?

CS: Die Texttraditionen, mit denen ich mich befasse, sind nicht nur Teil einer literarischen, sondern auch einer sozialen, religiösen und materiellen Kultur. Vielfach lassen sie sich nur aus ihrer Vernetzung mit anderen Medien oder Kunstformen verstehen. Meine Forschungen wären daher ohne das Gespräch mit angrenzenden Philologien und Fächern wie der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, der Kirchengeschichte, der Kunst- und der Musikgeschichte nicht vorstellbar. Dieses Gespräch möchte ich auch in Leipzig pflegen. Für die Lehre stelle ich mir auch eine Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek vor, deren historische Bestände man zum Gegenstand quellennaher Seminare machen kann.

Was lesen Sie, wenn Sie nicht wissenschaftlich lesen? Haben Sie eine Buchempfehlung für uns?

CS: Wirklich begeistert hat mich zuletzt Tomer Gardis Roman „Eine runde Sache“ aus dem Jahr 2021: Der erste Teil enthält angenehm viele Umlaute, der zweite Teil ist ein trickreicher historischer Roman, die Kombination ist genial. Ein weiterer großer Roman, auf den ich vor Kurzem gestoßen wurde, ist Helen DeWitts „The Last Samurai“ aus dem Jahr 2000. Seit der Lektüre möchte ich Altgriechisch lernen, um in der Londoner Circle Line fahrend die „Odyssee“ im Original lesen zu können. Und in den letzten Jahren habe ich das Gesamtwerk von Peter Kurzeck kennengelernt, das von Rechts wegen nie hätte enden dürfen.