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Yaraslava Ananka ist seit 1. Oktober 2023 Juniorprofessorin für Ostslavische Literaturwissenschaft und Kulturstudien an der Philologischen Fakultät, Institut für Slavistik.

Was haben Sie studiert und über welche Stationen führte Ihr Weg an die Universität Leipzig?

Ich habe Journalistik, literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft studiert. Promoviert habe ich an der Humboldt-Universität zur Isolationspoetik des russischen Berlins der 1920er Jahre. Parallel zur Arbeit an der Dissertation war ich an der Universität Potsdam in der von der Volkswagenstiftung geförderten Forschungsinitiative „Das Dorf als Imaginationsraum und Experimentierfeld im östlichen Europa“ tätig. Ich habe dabei zum Pilotprojekt einer bilingualen belarussisch-polnischen Literatur (der 1840-50er Jahre) in ihrem burlesken Balanceakt zwischen dem professionalisierten polnischen Kulturbetrieb, der russischen Zensur und dem ukrainischen Präzedenzfall geforscht. Befunde und Perspektiven dieser Untersuchungen wurden zur Grundlage meines DFG-Postdoc-Forschungsprojekts zum postromantischen Dilettantismus, an dem ich von 2020 bis zu meiner Berufung nach Leipzig gearbeitet habe.

 

Wo liegen Ihre Forschungsinteressen und was fasziniert Sie daran?

Ich bin in der Ukraine geboren, in Belarus aufgewachsen, ich habe meine Studienzeit in Russland verbracht. Wie Sie sich vorstellen können, ist es in der letzten Zeit nicht ganz einfach, mit diesen drei Identitäten zu leben. Und mit diesen drei Kulturen auch beruflich zu tun zu haben. In der Region, für deren Kulturen und Literaturen ich zuständig bin, finden im Augenblick tektonische Prozesse statt. Osteuropa und praktisch der ganze postsowjetische Raum werden von nie dagewesenen Krisen und Kriegen heimgesucht. Nach den brutal niedergeschlagenen Protesten von 2020 gleicht Belarus einem Gefängnis. Jeder achte Belarusse lebt nun im Exil, im Ausland. Die kaukasischen und zentralasiatischen Länder gehen ebenfalls schmerzhafte Transformationen durch. Die akuteste Wunde ist natürlich der seit 2014 andauernde russische Krieg gegen die Ukraine, der 2022 mit einer neuen unglaublichen Wucht und Gewalt ausbrach. Hundert Tausende Ukrainer wurden getötet, Millionen sind auf der Flucht. Der belarussische Schriftsteller Wasil Bykau, der den Alptraum des Zweiten Weltkriegs erlebt und in seinen Büchern beschrieben hat, würde sagen: Wir leben heute im Zeichen des Unheils. Und dieses große Unheil, Elend, Entbehrungen, der allgegenwärtige Tod… es nimmt kein Ende.

Diese Entwicklungen verändern und bestimmen auch unsere Forschungsarbeit. Ich forsche und unterrichte vor allem zur russischen, belarussischen und ukrainischen Kultur- und Literatur vom 19. Jahrhundert bis heute. Ohne die Kenntnisse der Vorgänge im 19. und 20. Jahrhundert wird man die heutigen kulturellen Kataklysmen kaum begreifen können. Ich arbeite zwar gerne literaturhistorisch, aber in der letzten Zeit verstärkt auch zur Gegenwart. Neben Medien und Journalistik treiben mich vor allem Migrationsprozesse und -Diskurse. Wir erleben heute live das Werden vieler neuer osteuropäischer Institutionen und Initiativen im Ausland, von Deutschland bis Kasachstan. Es vollziehen sich neue Exil-Subjektivierungen und Vernetzungen, die ein anderes Osteuropa infrastrukturell vorbereiten und eine andere Stufe der Beziehungen zu Westeuropa und insbesondere zu Deutschland anvisieren.

In welchen Studiengängen werden Sie unterrichten und welche Ziele verfolgen Sie dabei?

Ich werde in den Studiengängen der Slavistik unterrichten, das sind aktuell Ostslawistik B.A. und Slawistik M.A., sowie im Lehramt Russisch.

Wie eben indirekt erwähnt: Heute spürt und weiß man, wie wichtig die Osteuropaexpertise ist. Diese Expertise ist jedoch nicht etwas Statisches und Vorgefertigtes, das man frontal unterrichten kann. Unser Fach befindet sich genauso wie die Länder und Kulturen, mit denen wir uns beschäftigen, in einer Identitätskrise. Und neben den Dozierenden und Forschenden sind ebenfalls die Studierenden der Ostslavistik eingeladen, nicht nur etwas bei uns zu lernen und zu studieren, sondern jetzt und künftig die Osteuropakunde mitzugestalten.

 

Mit welchen Bereichen an den anderen Instituten der Fakultät oder an anderen Fakultäten sehen Sie inhaltliche Schnittmengen oder Potential für eine Zusammenarbeit?

Ich komme zwar auch mit meinen Themen und Inhalten ins Haus, aber sie, so meine Hoffnung, enthalten viele produktive Valenzen zu den bestehenden und kommenden Schwerpunkten der anderen Institute und Fakultäten. Geben Sie mir noch ein wenig Zeit, um mich umzuschauen: Anfangs gilt das Prinzip der Orientierung und Profilierung.

 

Vielen Dank für das Interview und willkommen an der Philologischen Fakultät und am Institut für Slavistik!