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Seit etwa zehn Jahren besteht das duale Promotionsprogramm „Transcultural German Studies“ zwischen der Universität Leipzig und der University of Arizona in den USA. Erstmals werden im Sommersemester 2022 im Rahmen des Programms Master-Seminare beider Universitäten online kooperieren. Das Projekt „Leipzig Tucson Virtual Master Class“ wird vom DAAD gefördert. Zum Start des transatlantischen Projekts sind zwei Mitarbeitende des Instituts für Germanistik nach Tucson gereist.

Leipzig Tucson Virtual Master Class

Seit etwa zehn Jahren besteht das duale Promotionsprogramm „Transcultural German Studies“ zwischen der Universität Leipzig und der University of Arizona in den USA. Im Rahmen dieses Programms sind nicht nur zahlreiche Aufenthalte von Promovierenden beider Seiten ermöglicht worden, sondern es sind auch sogenannte CoTutelle-Promotionen entstanden: Teilnehmende erhalten dabei sowohl den Titel Dr. Phil. der Philologischen Fakultät als auch den Abschluss PhD der University of Arizona. Voraussetzung dafür ist nicht nur das Einreichen einer Dissertation und deren Verteidigung, sondern auch der Erwerb zusätzlicher Credits an beiden Universitäten. Gutachter sind in aller Regel Lehrende beider Universitäten. Auf Leipziger Seite ist die Graduiertengruppe „Leipzig Transcultural Literary Studies“ die zentrale Plattform für den Austausch. Sie nimmt Teilnehmende auf, die aus Tucson nach Leipzig kommen, und bereitet Leipziger Teilnehmende auf den Austausch vor. Betreut wird das Programm seit dem akademischen Jahr 2021/22 am Institut für Germanistik (Prof. Dr. Dieter Burdorf).

Seit kurzem wird die langjährige Kooperation zwischen den beiden Universitäten um ein innovatives Lehrformat erweitert. Ziel der „Leipzig Tucson Virtual Master Class“ ist es, die transatlantische Zusammenarbeit zu stärken und auch Studierende und Promovierende für das jeweils andere akademische System zu begeistern, die nicht am physischen Austausch teilnehmen können oder diesen Schritt erst vor sich haben. Erstmals im Sommersemester 2022 werden dazu Master-Seminare an der Universität Leipzig und an der University of Arizona online kooperieren. Das Projekt wird seit Oktober 2021 vom DAAD gefördert.

Zeitverschiebung und akademische Kalender als Herausforderung

Eine große Herausforderung ist dabei die Zeitverschiebung von acht bzw. neun Stunden und ein erheblich abweichender akademischer Kalender. Während in Leipzig bis Ende März vorlesungsfreie Zeit ist, sind die Studierenden an der University of Arizona gerade mitten im Semester. Diesen Umstand machten sich im Februar der Projektverantwortliche PD Dr. Leonhard Herrmann und die Projektmitarbeiterin Sina Meißgeier (beide Institut für Germanistik) zunutze, um nach Tucson zu reisen und gemeinsam mit den Lehrenden und Lernenden in Tucson die virtuelle Kooperation zwischen beiden Instituten zu starten.

Hintergrund ist nicht allein ein hochschuldidaktisches, sondern insbesondere ein gemeinsames Forschungsinteresse. Als einer der ersten Gäste am Department seit Ausbruch der Corona-Pandemie hielt PD Dr. Herrmann einen Vortrag zur Reaktion deutschsprachiger Gegenwartsliteratur auf populistische Rhetorik in Politik und Öffentlichkeit. Neben meist eindeutigen Verweisen auf populistische Debatten und Politikangebote tritt eine Offenheit hinsichtlich ihrer Deutung, historischen Bewertung und der Frage ihrer Überwindbarkeit – ein Umstand, den Herrmann als „diskursive Polyvalenz“ beschreibt. „Romane wie beispielsweise ‚GRM‘ von Sybille Berg von 2019 reagieren mit einer geschlossenen Referenz – in Bergs Fall ist das ein Post-Brexit-Großbritannien – und gleichzeitig mit erzählerischer Mehrstimmigkeit“, beobachtet Dr. Herrmann.

„Postcolonial Studies“ als inhaltliches Profil

Entsprechende inhaltliche Profile weisen auch die beiden Master-Seminare auf, zwischen denen die virtuelle Kooperation erstmals erprobt wird. Auf der Seite der University of Arizona ist dies der Graduierten-Kurs „Postcolonial Theories“, der von Assistant Professorin Dr. Obenewaa Oduro-Opuni geleitet wird und Fragen von Ausgrenzung, Diskriminierung und Ungleichheit historisch auf den Kolonialismus zurückführt. Während des Aufenthalts in Tucson konnten Leonhard Herrmann und Sina Meißgeier den Kurs besuchen und gemeinsam mit den Teilnehmenden die anstehende virtuelle Kooperation vorbereiten. „Schon diese eine Seminarsitzung hat deutlich gemacht, wie weiterführend eine internationale Kooperation sein kann, sei sie konkret-physisch oder virtuell“, beurteilt Sina Meißgeier den Besuch. Im Zentrum der zweieinhalbstündigen Sitzung stand das Werk der Autorin Gloria Anzaldúa (1942 – 2004). Es ging um die Themen Sprache und „Borderlands“ – um Identitätsfragen von Menschen wie Anzaldúa mit mexikanischen Wurzeln, die in zweiter oder weiterer Generation in den USA leben. „Grenzen, ihre Verläufe, ihre Verschiebungen und ihre Wirkungen sind ein sehr wichtiges Thema hier in Tucson, vor allem aufgrund der Nähe zu Mexiko. Die Grenzstadt Nogales liegt nur eine Autostunde von Tucson entfernt“, erläutert Assistant Professorin Dr. Joela Jacobs, die die Promovierendenausbildung des German Departments an der University of Arizona leitet. „Gerade über diese Fragen mit Studierenden in Leipzig ins Gespräch zu kommen, ist uns ein ganz wichtiges Anliegen. Ganz sicher werden dabei vielfältige neue Forschungsansätze entstehen“, ergänzt Dr. Jacobs mit Blick auf künftige, im Verbund zwischen Leipzig und Tucson entstehende Doktorarbeiten.

Das auf Leipziger Seite beteiligte Master-Seminar trägt den Titel „Postkoloniale Gegenwartsliteratur“, das sich vor dem Hintergrund postkolonialer Theorien mit Romanen der Gegenwart auseinandersetzen wird. „Dazu legen wir erst einmal Grundlagen zur postkolonialen Theorie. Da die Studierenden auf Tucson-Seite bis dahin schon fast am Semesterende angekommen sind, werden sie den Leipzigern tolle Inputs geben können“, sagte Dr. Herrmann. Die Zusammenarbeit ist in deutsch-amerikanischen Tandems geplant und wird aufgrund der Zeitverschiebung vor allem asynchron und über interaktive Lerntools wie Padlet und VoiceThread stattfinden. Am 22. und 29. April wird es zwei synchrone Online-Sitzungen geben, an deren Ende sich transatlantische Lern-Teams bilden werden.

Wunsch nach langfristiger Verstetigung

Das Projekt wird im Rahmen der International Virtual Academic Cooperation (IVAC) des DAAD zunächst für ein Jahr gefördert. „Wir erhoffen uns von dem Projekt eine langfristige Verstetigung und Intensivierung des Austauschs zwischen Tucson und Leipzig“, so PD Dr. Herrmann. Das trägt natürlich zur Internationalisieurng von Universität, Fakultät und Institut bei, liefert aber vor allem einen für beide Seiten sehr wichtigen inhaltlichen Input: „Forschende auf beiden Seiten liegen fachlich sehr nah beieinander, wenngleich sie räumlich weit voneinander entfernt sind.“