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Am 29./30. September 2022 trafen sich an der Universität Leipzig zum zweiten Mal Wissenschaftler*innen, Verlagsmitarbeiter*innen, Lehrende und Studierende zu einem Austausch über die Zukunft des fremdsprachlichen (digitalen) Lehrwerks. Der „2. Runde Tisch zum Lehrwerk 4.0“ verfolgte damit das Ziel, Visionen für die Gestaltung und Konzeption von digitalen Lehr- und Lernmaterialien der Zukunft zu entwickeln und in der versammelten Fachgemeinschaft zu diskutieren.

Nach einem Rückblick auf den „1. Runden Tisch“, der bereits im Frühjahr 2020 stattgefunden hatte, gab es zwei Keynotes: Dr. Ilas Körner-Wellershaus (Vorstandsvorsitzender des Verbands Bildungsmedien) gab in seinem Beitrag mit dem Titel „Wie digital ist das >Digitale Schulbuch<“ einen Einblick in die Verlagsperspektive und stellte sieben Thesen zu Zukunft des Lehrens und Lernens auf. Anschließend präsentierte Prof. Åke Grönlund von der Universität Örebro (Schweden) seine Forschungsarbeiten zur Nutzung von interaktiven, digitalen Lehrwerken in schwedischen Schulen. Kurzpräsentationen von Schulbuchverlagen und Bildungs-Start-Ups, die ihre aktuellen Entwicklungen im Bereich digitaler Lehrwerke vorstellten, schlossen den ersten Teil des Runden Tisches ab. Vertreten waren die Schulbuchverlage Cornelsen, Hueber, Klett und Schubert und Westermann sowie die Start-up-Unternehmen ‚Institut für digitales Lernen‘ und der Verlag Wagner & Farkas.

­Die Keynotes und Präsentationen boten eine gute Grundlage für die folgenden Diskussionen und die Arbeit in AGs, welche als  ‚Zukunftswerkstätten‘ gestaltet waren. In drei parallel arbeitenden Gruppen wurden Visionen für das digitale Lehrwerk der Zukunft entwickelt, die sowohl auf aktuellen methodisch-didaktischen Anforderungen basieren, als auch mögliche zukünftige technische Entwicklungen aufnehmen sollten. Die Visionen wurden abschließend gemeinsam diskutiert und werden als Grundlage für die weitere Zusammenarbeit des Think Tanks „Lehr- und Lernmaterialien 4.0“ dienen.

Um zu den Visionen gelangen zu können, wurden in allen Arbeitsgruppen zunächst aktuelle Herausforderungen und Desiderate in Bezug auf die Zukunft des Fremdsprachenunterrichts und der damit eng verbundenen Rolle des Lehrwerks diskutiert. Thematisiert wurden die Aspekte Lehrer- und Lehrerorientierung, kommunikativer Fremdsprachenunterricht, Authentizität sowie Individualisierung, Differenzierung und Adaptivität. Als roter Faden zog sich durch die verschiedenen Diskussionen die Idee, dass durch die Digitalisierung von Lehrwerken bedeutungsvolles Lernen für individuelle Lernende ermöglicht werden kann, indem sich das digitale Lehrwerk der Zukunft einerseits an die individuellen Interessen und das aktuelle Leistungsniveau der Lernenden anpassen  und andererseits mehr (sprachliche) Interaktion zwischen Lernenden innerhalb des Lernraums aber auch mit L1-Sprechenden weltweit unterstützen kann/sollte.

Basierend auf diesen Anforderungen wurden insgesamt fünf Visionen für das Lehrwerk der Zukunft entwickelt. In AG 1 wurde beispielsweise ein System vorgeschlagen, in welchem offene, immersive Lernaufgaben umgesetzt werden können. Diese werden in einer Kooperation von Verlagen, Wissenschaftler*innen für unterschiedliche Zielgruppen entwickelt und im Unterricht erprobt und evaluiert, bevor sie über verschiedene Plattformen und Learning-Management-Systeme abrufbar sind. Eine andere Vision, die in dieser AG diskutiert wurde, fokussiert sich auf die Ermöglichung von authentischer bzw. quasi-authentischer Interaktion. In dem vorgeschlagenen Lernsystem werden Lernende über die adaptive Rezeption von Texten (z. B. je nach Bedarf als schriftlicher, auditiver oder audiovisueller ‚Text‘) zur Produktion geleitet. Diese besteht z.B. in einer mündlichen Interaktion mit anderen Lernenden, Lehrenden oder auch einem Chatbot.

In AG 2 wurde die Vision einer/eines digitalen Lernbegleiters/Lerbegleiterin ausgearbeitet, eine als Avatar repräsentierte KI, dieLernende lebenslang und fächerübergreifend begleitet. Der Lernbegleiter/die Lernbegleiterin kennt damit auch die individuelle Lerngeschichte und grundlegende Eigenschaften sowie die Interessen der Lernenden und kann auf dieser Basis Übungen oder komplexere Aufgaben an den/die Lernende/n anpassen und sie thematisch so auswählen, dass sie für sie/ihn interessant und motivierend sind. Für die Anpassung der Lerninhalte und Übungen /Aufgaben, übernimmt der/die Lernbegleiter/in also diagnostische Aufgaben. Zudem soll sie/er Lernende motivieren, bei Verständnisproblemen bspw. sprachliche Phänomene erklären und Feedback zu Antworten und Leistungen der Lernenden geben. Zudem wurden Aspekte der Gamifizierung in Bezug auf die äußere Gestalt des Avatars vorgeschlagen.

In AG 3 entstand einerseits die Vision eines wandelbaren E-Lehrwerks, welches zwar noch in physischer Form vorliegt, sich aber durch den Einsatz von Geräten, wie Smartphones oder Tablets, an einzelne Lernende anpasst, indem Texte beispielsweise dem individuellen Sprachniveau gemäß verändert dargestellt oder Übungen und Aufgaben nach Lernstand und Interesse angepasst werden können. Ziel dieser Vision ist es, individuelle Lernpfade zu ermöglichen und diese regelmäßig im Rahmen von sozialen Phasen (als ‚Haltestationen‘) im Kurs- oder Klassenverband wieder zusammenzuführen. Zudem wurde mit dem/der ‚Transformer*in‘ in dieser AG eine weitere Vision angedacht, die der Idee des/der digitalen Lernbegleiters/Lernbegleiterin in AG 2 stark ähnelt, aber in physischer Form existiert und veränderbar (transformierbar) ist. Auch hier werden verschiedene Technologien zugrunde gelegt (Learning Analytics, KI, Chatbots, etc.), wodurch der/die Transformer*in multifunktional auch disziplinenübergreifend agieren und authentisch mit Lernenden interagieren kann.

In allen AGs wurden als kritische Punkte immer wieder Fragen des Datenschutzes und der Lizenzrechte aufgeworfen, die für mögliche Realisierungen der Visionen geklärt werden müssten. Insgesamt sind für die Annäherung an die formulierten Visionen zudem verlagsübergreifende, bzw. bundesweite Entwicklungsprojekte wünschenswert. Die entwickelten Visionen sollen im Rahmen des 3. Runden Tisches, der im Herbst 2023 als virtuelle Veranstaltung stattfinden wird, weiterdiskutiert werden. Der nächste Runde Tisch in Präsenz ist für 2024 geplant.