Das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt untersucht literarische, filmische und digitale Adaptionen von Robinson Crusoe im 21. Jahrhundert. Lesen Sie hier mehr über die Geschichte, den theoretischen Hintergrund und die Ziele des Projekts.

Adaptionen von Robinson Crusoe in der anglophonen Literatur und Populärkultur des 21. Jahrhunderts

Daniel Defoe’s Werk Robinson Crusoe gilt gemeinhin als einer der ersten Romane der englischen Literaturgeschichte und liegt heute in weit über tausend Ausgaben, Bearbeitungen und Übersetzungen vor. Die Langlebigkeit der Robinsonade als kulturelles Narrativ wird anhand seiner Adaptionsgeschichte sichtbar: Seit seinem Erscheinen wurde Robinson Crusoe unzählige Male adaptiert, intra- und intermedial verarbeitet und fand schließlich Eingang in globale anglophone Kulturräume, etwa in die karibische oder die südafrikanische Literatur (z.B. Derek Walcott, J. M. Coetzee). Die mit Robinson Crusoe popularisierte Darstellung des gestrandeten Individuums und der abgelegenen tropischen Insel, welche die literarische Gattung der ‚Robinsonade‘ hervorbrachte, ist auch im 21. Jahrhundert ungebrochen. Sie findet sich heute in einer Vielzahl von Medien und Genres, vom Bildungsroman über die literarische und filmische Science Fiction bis hin zum Musical, der TV-Dokusoap, der Werbung oder dem Videospiel. Die Verwendung von konstitutiven Elementen der Robinsonade, die auf Defoes Ursprungstext aufbaut und in der anglistischen Literaturwissenschaft meist als ‚desert island story‘ oder ,castaway story‘ bezeichnet wird (Deist 2009), bezieht sich primär auf folgende Aspekte: das Motiv unfreiwilliger insularer Abgeschiedenheit, die Idee eines ‚Nullpunktdaseins‘ im Außerkraftsetzen normativer Setzungen und sich damit eröffnenden Möglichkeiten der Zivilisationskritik, das Aufzeigen sowohl utopischer als auch dystopischer Entwicklungen sowie auf (ambivalente) Darstellungsformen des Kulturkontakts mit dem ,Fremden‘.

Ziel des Projekts ist es, zu untersuchen, wie sich Adaptionen von Robinson Crusoe als kulturelles Narrativ in literarischen, filmischen und digitalen Texten des 21. Jahrhunderts in Bezug auf inhaltliche, formalästhetische sowie genre- und medienspezifische Charakteristika artikulieren und welche Verbindungen zu übergreifenden gesellschaftlichen Diskursen bestehen und somit als Chiffre für Lebenswelten in unserer spätkapitalistischen, globalisierten und digitalisierten Welt fungieren können. Es fußt auf der Prämisse, dass Gesellschaften Wünsche, Ängste und Identitäten über Narrative artikulieren (Koschorke 2018). Bei der Robinsonade handelt es sich, wie die produktive Adaptionsgeschichte auch im 21. Jahrhundert zeigt, um solch ein kulturelles Narrativ, welches in vielen medialen Erscheinungsformen auftritt und somit eines literatur- und kulturwissenschaftlichen Ansatzes bedarf. Am Beispiel zeitgenössischer Adaptionen von Robinson Crusoe lässt sich exemplarisch zeigen, wie eine transmediale Literatur- und Kulturwissenschaft zur Erforschung der Erscheinungsformen und Wirkungsweisen kultureller Narrative beitragen kann. Hierbei lässt sich als übergeordnete erkenntnisleitende These formulieren, dass, durch die wachsende Rolle des Internets und der sozialen Medien seit ca. 2000, die Bedeutung der Crusoe-Figur als kulturelles Narrativ in Literatur und Populärkultur eine wichtige Verschiebung erfahren hat: In einer Vielzahl aktueller Texte fungiert sie nun als Symbol des Prä-Digitalen bzw. wird auch die einsame Insel nun verstärkt als ‚offline-Lokalität‘ akzentuiert, welche den Erfahrungsraum ‚analoger Lebenswelten‘, inklusive deren Nostalgisierungspotentials, bereithält. Als weitere übergreifende These in Bezug auf die neuere Adaptionsforschung kann formuliert werden, dass aktuelle Robinsonaden in ihren intertextuellen Markierungen neben Defoes Text häufig weitere bekannte Crusoe-Adaptionen des 20. Jahrhunderts einbinden lassen. Aus der Rezeptionsperspektive kann darüber hinaus in Weiterentwicklung von Hutcheons Prozess des ‚interpretative doubling‘ (dem Abgleichen der Adaption mit dem Ursprungstext durch kundige Leser/Zuschauer, 2006), hier zusehends von einem Prozess des ‚interpretative multiplying‘ ausgegangen werden kann.

Unser Projekt stellt somit einen Brückenschlag zwischen Literatur- und Populärkulturstudien dar, der einen umfassenden Zugang zu literarischen, filmischen und digitalen Texten eröffnet. Darüber hinaus wird eine dezidiert transkulturelle, globale Perspektive eingenommen, aus der heraus Formen und Funktionen der Robinsonade in der postkolonialen anglophonen Welt des 21. Jahrhunderts herausgearbeitet werden.

 

Zur Geschichte des Projekts

Die Idee des Projekts, die Planung der einzelnen Arbeitsbereiche, auch die Antragsstellung stammen aus der Feder unseres verstorbenen Kollegen und Defoe-Spezialisten Professor Oliver von Knebel Doeberitz, der auch die Mittel für das Projekt erfolgreich bei der DFG eingeworben und das Forschungsteam auf einen guten Weg gebracht hat. Wir alle vermissen ihn sehr.

Nachruf.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Foto von Prof. Dr. Oliver von Knebel Doeberitz (1975-2023)
Prof. Dr. Oliver von Knebel Doeberitz. Photo: private.

Nach seinem völlig überraschenden Tod im Frühjahr 2023 übernahm Professor Miriam Nandi die Leitung des Projekts. Dieses Forschungsprojekt und die Website sind Teil seines nicht unerheblichen Erbes in der anglistischen Forschungslandschaft, welches wir bewahren wollen.

Die Forschenden

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Die Forschenden posieren lächelnd mit Ausgaben von Robin Crusoe und einem Gaming-Controller.
Von links nach rechts: Ruprecht Tauchmann, Annika Scheel und Prof. Dr. Miriam Nandi. Foto: Anke Steinberg.