Crusoe-Figuren treten in vielerlei Gestalt auf: als schiffbrüchige Astronauten, gestrandete Seefahrer oder Überlebende der Apokalypse. In ihren Geschichten geht es um das Nullpunkt-Dasein und die Aushandlung des zivilisatorischen Wiederaufbaus. Diese Dissertation konzentriert sich vor allem auf Science-Fiction im postapokalyptischen Setting.
Beschreibung des Teilprojekts
Seit seinem Erscheinen diente Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe (1719) als zentraler Intertext für eine Vielzahl kultureller Artefakte und tut dies auch heute noch. Durch die Reproduktion, Neuinterpretation und/oder Subversion von Schlüsselelementen und deren Aufladung mit Diskursebenen "offenbart jedes Zeitalter [...] die Robinsonade, die am besten zu seinen Bedürfnissen passt" (Fisher 2018, S. 104, Übersetzung Tauchmann). Yang hat eine "ökologische Wende in der zeitgenössischen Robinsonade" festgestellt (2018, S. iii; vgl. Lipski 2022, S. 6, Übersetzung Tauchmann). Diese Dissertation schließt sich dieser Einschätzung an und bietet weitere Belege für die Bedeutung von Umweltbelangen innerhalb des Genres. Sie befasst sich vor allem mit der Frage, wie Geschichten von insularer Isolation in Zusammenhang stehen zu einer komplexen, hyper-globalisierten Welt und den vielfältigen sozio-ökologischen und technologischen Transformationen auf planetarischer Ebene. Der Korpus von Romanen, Filmen und Videospielen wird aus einer adaptionswissenschaftlichen Perspektive analysiert, die die diachrone komplexe Filterung von Castaway-Narrativen (vgl. Sanders 2015, S. 33) in ihrem soziokulturellen Umfeld hervorhebt.
Der „ecological turn“ bringt eine Verstärkung des Nachhaltigkeitsdiskurses und die Betonung der Beziehung zwischen Schiffbrüchigen und der Umwelt mit sich. Genauer gesagt fungiert die zeitgenössische Robinsonade bei der Neugestaltung des Ortssinns als allegorisches Modell für komplexere globale Verflechtungen, die letztlich von einer Wahrnehmung der lokalen Insel zu einer Wahrnehmung des Planeten Erde extrapoliert werden. In gewisser Weise scheinen diese Texte evolutionär stabile Strategien zu destillieren, die für die Erhaltung des menschlichen Lebens notwendig sind. Die postapokalyptischen Crusoe-Geschichten als planetarische Schiffbrüche zu lesen, untermauert die Vorstellung der Extrapolation. In Geschichten von unwiderruflicher Isolation verbindet sich der Mythos der Apokalypse mit einem zentralen Gründungsmythos der westlichen Zivilisation (vgl. Kinane 2017, S. 7), wobei ein fragwürdiges Gefühl der Endlosigkeit entsteht. An den Grenzen der Nachhaltigkeit offenbaren die Märchen vom immerwährenden Wachstum und der endlosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen die kollektive Sehnsucht der Menschheit nach Unsterblichkeit (vgl. Bergthaller 2017, S. 196-197).
Das Überleben erscheint ohne eine Chance auf Entfaltung letztlich sinnlos. Und dazu müssen die Schiffbrüchigen ihr Wissen für die Nachwelt bewahren. Doch diese Geschichten selbst kodieren in sich eine metadiskursive Tradition der Robinsonadenform (vgl. Kinane 2017, S. 217-218), in der verlassene Inseln zu „fictional site[s] of memory“/ (Hebel 2010, S. 48-49) werden. Vor diesem Hintergrund sprechen die Crusoe-Geschichten nach der ökologischen Wende wichtige ökologische Anliegen an und bieten den Raum für die komplexen generationsübergreifenden Verhandlungen, die aufgrund der Umweltkrisen auf globaler Ebene notwendig erscheinen.
Korpus von Primärtexten
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Andy Weir’s novel The Martian (2014) and its film adaptation
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Yann Martel’s novel Life of Pi (2001)
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Terry Pratchett’s Nation (2008)
Vorträge und Publikationen
Im Juli 2022 wurden die ersten Ergebnisse auf der Konferenz „Novel Histories: New Approaches to Eighteenth-Century Fiction“ an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen vorgestellt. Der Vortrag „Robinson Crusoe - but on Mars: Investigating Intertextuality in Andy Weir's The Martian (2014)“ diente als Grundlage für einen Beitrag, der in der Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik (ZAA) erschienen ist.
Bei der BritCult-Konferenz 2022 wurde die Gesamtthese und der Ansatz im Rahmen des Postgraduiertenforums an der Universität Salzburg in Österreich vorgestellt und erhielt wertvollen Input von renommierten Wissenschaftler:innen aus dem Bereich der British Cultural Studies.
Im Mai 2023 diente das DFG-Projekt als Grundlage für den Vortrag „Climate Anxiety and Existential Fear in Postapocalyptic Adaptations of Daniel Defoe's Robinson Crusoe (1719)“ auf der Anglophonia Konferenz „Endlessness“, die von der Universität Zagreb, Kroatien, ausgerichtet wurde.