Nachricht vom

Im Gedenken an unsere Kollegin Gabriele Rodríguez.

Es ist eine der traurigsten Nachrichten, die wir hier verbreiten: Unsere langjährige Mitarbeiterin, die engagierte Namenforscherin und Namenberaterin hat den Kampf gegen die schwere Krankheit verloren. Tapfer bis zum Schluß und immer betonend, wie sehr ihr die Namenerforschung über schwere Zeiten hinweggeholfen hat, war und bleibt sie ein großes Vorbild für alle, die von ihrer Erkrankung wussten. Umso mehr freuen wir uns, dass wir ihr am 8. Dezember noch die Festschrift anläßlich ihres 60. Geburtstages überreichen konnten. "Das ist etwas sehr Schönes, was von einem bleibt, wenn man mal gehen muss"- so sagte sie es in dem Moment der Übergabe. Es bleiben aber auch die vielen gemeinsamen Erinnerungen an die Jahre an der Universität Leipzig (seit 1994), die vielen Familien, die Dank eines Gutachtens von ihr ihre Kinder so nennen konnten, wie sie es vorhatten. Viele Menschen haben durch sie etwas über ihren Familiennamen erfahren oder die linguistische Grundlage für eine Umbenennung erhalten. Als gefragter Interviewpartner hat sie auf unterschiedlichen Kanälen Namenforschung bekannt gemacht und sich insbesondere zu Fragen der Vornamengebung geäußert. Sie vermochte es auf großartige Weise, wissenschaftliche Themen auf allgemeinverständliche Weise zu formulieren. Sie wird uns allen sehr fehlen, auch in den Seminaren, die sie regelmäßig für unsere Studierenden im Wahlbereich gestaltete. Alle, die bei uns in der Namenberatungsstelle gearbeitet haben, als Praktikanten oder Mitarbeiter erinnern sich gern an diese Zeit, wo man von Gabriele Rodriguez (wir nannten sie nach ihrem Wunsch "Gabi") so viel über Namen lernen konnte, manchmal schon durch das aufmerksame Zuhören bei den vielen Telefonaten, die sie mit Eltern und Standesbeamten führte. Immer hilfsbereit und immer auch bereit, sich den vielseitigen Aufgaben zu stellen, von akademischer Namenforschung bei ICOS - International Council of Onomastic Sciences bis zu unterhaltsamer Namenerzählung bei Fernsehauftritten. RIP, liebe Gabi und danke für alles.

 

Aus der Festschrift zu ihrem 60. Jubiläum (Onomastica Lipsiensia Band 14) teilen wir hier nun die Laudatio zu ihrem Werdegang:

Gabriele Rodriguez wurde am 25. Januar 1961 in Leipzig geboren. Nach dem erfolgreichen Schulabschluss wurde sie auf der Arbeiter- und- Bauern-Fakultät (eine Vorstudieneinrichtung zur Erlangung der Hochschulreife an den Universitäten und Hochschulen der DDR) „Walther Ulbricht“ in Halle an der Saale zum Abitur geführt und auf ein Auslandsstudium in der Sowjetunion vorbereitet. Von 1979 bis 1984 studierte sie an der Staatlichen Universität in Kasan (Russland) Slavische Philologie und Pädagogik und absolvierte anschließend ein Erweiterungsstudium Romanistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Von 1984 bis 1992 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin an der Sektion Fremdsprachen der Universität Leipzig, wobei sie bei Intensivkursen Erfahrungen in der Lehrtätigkeit sammeln konnte, die ihr bei Lehrveranstaltungen im Rahmen des Wahlbereichs Namenforschung sehr zu Gute kamen. Von 1991 bis 1994 arbeitete sie im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als wissenschaftliche Angestellte in der Deutschen Zentralstelle für Genealogie (diese wurde 1995 als Abteilung in das Staatsarchiv Leipzig eingegliedert) und konnte gleich anschließend in einer weiteren ABM von 1994 bis 1996 und 1998 bis 1999 ihre Tätigkeit als Namenberaterin an der Universität Leipzig anschließen.

In der 1994 vom Herausgeber dieses Bandes Karlheinz Hengst erstellten Tätigkeitskurzbezeichnung wurde unter 1. „Rufnamenauskünfte an das Standesamt Leipzig und die Standesämter in Sachsen“ formuliert. Bald wurde Ihre Expertise aus ganz Deutschland nachgefragt. Sie erwies sich als kompetente Mitarbeiterin, die durch ihre Studienkenntnisse ein breites Feld von Sprachen abdecken konnte und kontinuierlich weitere Sprachkenntnisse erwarb. Schon nach kurzer Zeit spürte man ihre Begeisterung für Namen, insbesondere die Vornamen. So war es nicht verwunderlich, dass sie die Aufgabe in unbezahlten Zwischenzeiten ehrenamtlich weiterführte. Seit 1997 bearbeitete Gabriele Rodriguez auch Familiennamen, zunächst als Gutachterin bei der Gesellschaft für deutsche Sprache Wiesbaden, später auch für die Gesellschaft für Namenkunde e.V. und die Universität Leipzig. Seit August 2001 ist Frau Rodriguez wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Deutsch-Slavische Namenforschung, jetzt Namenkundliches Zentrums der Universität/Namenberatungsstelle Leipzig. Es dürfte kaum einen Bereich der Sprache geben, der sich in diesen letzten 30 Jahren so rasant verändert hat wie eben die Vornamen. Und diese Thematik wird auch von der Öffentlichkeit immer mehr zur Kenntnis genommen. So kommen zu den beratenden Aufgaben für Standesbeamte und Eltern zahlreiche „mediale“ Aufgaben hinzu, die Gabriele Rodriguez mit Freude und Bravour absolviert.

Dabei ist das Spektrum der persönlichen Anfragen und der anfragenden Institutionen breit gefächert, und die Jubilarin ist jeder Kommunikationssituation gewachsen. Ich erinnere mich noch gut daran, als im Oktober 2001 der Sohn von Steffi Graf und André Agassi geboren wurde und die Kameraleute verschiedener Fernsehsender vor dem Zimmer von Frau Rodriguez Schlange standen, um aus ihrem Munde etwas zum bis dahin unbekannten Namen Jaden zu erfahren. Mit Ruhe und Gelassenheit beantwortete sie alle Fragen , sie wurde nach und nach zur „Vornamenpäpstin“, zunehmend seit 2009, mit dem Tod von Wilfried Seibicke, der von den Medien auch gern interviewt und als der „Vornamenpapst“ bezeichnet wurde. Wer Gabriele Rodriguez kennt, weiß, wie gern sie zu Tagungen fährt, die Gemeinschaft und den Austausch mit anderen Namenforschern schätzt und ihr Wissen auch auf wissenschaftlichen Kongressen vorträgt, obwohl sie seit 2000 immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Exemplarisch sollen hier die Themen ihrer Vorträge bei ICOS-Kongressen seit 1999 genannt werden:

1999 Santiago de Compostela: A dónde ‘van’ nuestros nombres propios? La individualización y internacionalización de los antropónimos (nombres). Tendencias en el proceso de elegir y poner nombres a un nino en Alemania. (Un informe y materiales estatísticos sobre el trabajo de la oficina onomástica de la Sociedad onomástica en Leipzig).

2002 Uppsala: Amerikanischer Einfluss in der Vornamengebung in Deutschland.

Pisa 2005: Die Vornamengebung und die dabei auftretenden Probleme bei binationalen und ausländischen Familien in Deutschland. Erfahrungsbericht aus der Personennamen-Beratungsstelle der Universität Leipzig.

Toronto 2008: Los extranjeros y sus nombres en Alemania. Tendencias en el proceso de elección de los nombres entre familias extranjeras, binacionales o con un trasfondo migratorio en Alemania.

2011 Barcelona: La secularización – como una de las tendencias en el proceso de elección de los nombres de pila en Alemania.

2014 Glasgow [mit A. Mehrebani-Yasyba]: A Dictionary of Turkic Names in Germany and Austria. A Book Project.

2017 Debrecen [mit Thomas Liebecke]: Vornamen im Deutschen als Träger sozialer Informationen. Soziale Informationen in Vornamen erfassen.

2021 Wroclaw: DDR-Comic als Vornamenlexikon? Eine Quelle für die Suche nach Vornamen.

Großes Interesse erweckte ihr 2017 erschienenes Buch Namen machen Leute. Wie Vornamen unser Leben beeinflussen (Komplett-Media GmbH München). Auf 248 Seiten erzählt Gabriele Rodríguez aus dem Alltag einer Namenberaterin. Sie schildert Historisches, so zum Beispiel die Herausbildung des „anthroponymischen Modells“ des Deutschen, und Anekdotisches aus ihrer inzwischen fast fünfundzwanzigjährigen Tätigkeit an der Namenberatungsstelle der Universität. Die Überschriften der einzelnen Kapitel sollen hier für einen inhaltlichen Überblick der behandelten Namenthemen stehen:

Einführung; Ein Phänomen – der „Kevinismus“; Die alten Germanen – warum wir Namen haben; Heiliger Bimbam – wie die Christianisierung die Namengebung veränderte; neue Zeiten – wie sich die Vornamen nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten und veränderten; No-Gos im deutschen Sprachraum; Das Mädchen Pepsi-Carola – wenn man heißt wie in der Werbung; Von der kleinen Borussia Müller; McDonald Schulze und der süßen Rumpelstilzchen Schmidt; Filme, Fußball und Hitparade – der Einfluss der Stars; A boy named Sue – wie Mädchen zu Mädchen und Jungen zu Jungen werden; Paris und Orlando reisen zu San Diego – Städte als Vornamen; Highlights aus aller Welt; Indianernamen; Ein Beispiel aus dem Ausland: russische Vornamen; Es grünt so grün – Pflanzennamen; Klangliches – warum es okay ist, Namen einzudeutschen; Fifi Trixibelle, Emma Tiger und Wilson Gonzales – was Promis und bildungsferne Schichten verbindet; Gedanken zum Abschluss: Ein paar Empfehlungen für die Namengebung; Anhang mit zugelassenen „besonderen“ Namen, abgelehnten Vornamen und Vornamen im Wandel der Zeit; Onogramme: Vornamenlexikon.

Nicht nur in diesem Buch, sondern generell ist es Gabriele Rodríguez ein Anliegen, die Namenforschung auch der Bevölkerung, dem Laien nahezubringen. Zahlreiche Vorträge in Schulen, Standesämtern, Vereinen, auf der alljährlichen Babymesse u.a. bestätigen das. Auch der internationale Austausch ist der Jubilarin wichtig. Sie unterstützt die Namenforschung in anderen Ländern, wo noch wenig geforscht und beraten wird. So hat sie intensive Kontakte zu Einrichtungen in Mexiko, Kuba und Brasilien geknüpft; sie hält dort regelmäßig Vorträge und nimmt an den ersten dort organisierten Tagungen zur Anthroponomastik teil. 

­In den letzten Jahren haben sich die Aufgaben der Namenberatungsstelle verändert. So häufen sich Anfragen zum Namenwechsel (Vor- und Familiennamen aus ganz unterschiedlichen Gründen) und damit verbunden auch Expertisen für namenrechtliche Entscheidungen. Immer wieder bringen auch gesellschaftliche Veränderungen für die Jubilarin neue Herausforderungen.

 

Publikationen von Gabriele Rodríguez

1998: Aus der Arbeit der Personennamen-Beratungsstelle an der Universität Leipzig, in: Universität Leipzig, Heft 3/1998, 22f., sowie in: Namenkundliche Informationen 73, 46-49.

2010: Turksprachige Namen in Deutschland. Statistik und Tendenzen in der turksprachigen Vornamengebung, in: Namenkundliche Informationen 97, 95-107.

2011: Neue Familiennamen in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Hengst, Karlheinz / Krüger, Dietlind: Familiennamen in Deutschland. Erforschung und Nachschlagewerke, Familiennamen aus fremden Sprachen im deutschen Sprachraum, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 521-567.

2012: Die Vornamen einer Stadt – Leipzig, in: Kremer, Dietlind / Kremer, Dieter (Hg.): Die Stadt und ihre Namen, 1. Teilband, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag (= Onomastica Lipsiensia 8),  133-144.

2013a: Nombres como parte del idioma – objetivo de una investigación interdisciplinaria, in: Actualizaciones en Comunicación Social I, Santiago de Cuba, 107-111.

2013b: Akademische Namen? Universitätsmatrikel als namenkundliche Quelle (2013), in: Kremer, Dietlind / Kremer, Dieter (Hg.): Die Stadt und ihre Namen (II), Leipzig 2012 (= Onomastica Lipsiensia 9), 405-419.

2015: Aplicación de una base de datos onomásticos (un proyecto del Centro Onomástico y del Instituto de Informática de la Universidad de Leipzig), in: Comunicación Social: Retos y Perspectivas I, Santiago de Cuba, 127-131.

2016: Aktuelle Tendenzen in der Namengebung ausländischer, bi- und multikultureller Familien in Deutschland (2016), in: Kremer, Dieter (Hg.): „Fremde“ Namen. Akten der Leipziger Tagung des Arbeitskreises Namenforschung der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung am 9. und 1. Oktober 2015, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag (= Onomastica Lipsiensia 12), 149-158.

Kremer, Dietlind / Kremer, Dieter (Hg.): Die Stadt und ihre Namen, 1. Teilband, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag (= Onomastica Lipsiensia 8),  133-144.

2019: Nombres de pila en Alemania como portador de información social. ¿Cómo se puede capturar la información social en los nombres?, in: Comunicación Social: Lingüística. Medios Masivos, Arte, Etnología, Folclor y otras ciencias afines I, Santiago de Cuba, 62-66

2021: Percepción de nombres de pila y sus efectos hoy en Alemania, in: Ruiz Miyares, Leonel / Álvarez Silva, María Rosa / Muñoz Alvarado, Alex (Hg.): Contribuciones a la Lingüística y a la Comunicación Social. Tributo a Vitelio Ruiz Hernández, Santiago de Cuba, 27-30.

 

Vorträge

2012a: Nombres como parte del idioma – objetivo de una investigación interdisciplinar a largo plazo en Alemania e Europa, XII Encuentro Internacional de Lingüística en el Noroeste, Universidad Autónoma de Sonora, Hermosillo.                                                                         

2012b: Vorträge an der UNAM in Mexiko-Stadt sowie auf der Internationalen Buchmesse in Guadalajara.

2013a: Vorstellung des Namenkundlichen Zentrums, 1. Mittelsächsisches Genealogiekolloquium, Limbach-Oberfrohna

2013b [mit Adianys Collazo Allen]: Los nombres de las calles: una comparación entre La Habana (Cuba) y Berlín (Alemania), Instituto de Literatura y Lingüística „José Antonio Portuondo Valdor“, La Habana.

2014: Grundlagenliteratur für den Namenforscher, 2. Mittelsächsisches Genealogiekolloquium, Limbach-Oberfrohna.

2017a: Familiennamen als Bindeglied zwischen Namenforschung und Genealogie, 5. Mittelsächsisches Genealogiekolloquium, Limbach-Oberfrohna.

2017b: Tschechische Familiennamen', Deutscher Genealogentag, Dresden,

2018a: Nombres de pila en Alemania como portador de información social. ¿Cómo se puede capturar la información social en los nombres? (digital), Primeras Jornadas Antroponomásticas en Acatlán. Facultad de Estudios Superiores Acatlán, Universidad Nacional Autónoma de México, 23.7.-25.7.2018.

2018b: Vornamen gehen immer? Namenberatung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, Symposium Namenforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit, Linz 4.-7.10.2018.

2019a: Neue Vor- und Familiennamen in Deutschland im Zuge der Emigration. Probleme und Lösungen, Vortrag auf dem 11. Detmolder Sommergespräch im Landesarchiv NRW, 4.9.2019.

2019b: Percepción de nombres de pila y sus efectos hoy en Alemania (Percepção de nomes de batismo e seus efeitos hoje em dia na Alemanha) (digital), Segundas Jornadas Antroponomásticas, Universidade Estadual do Oeste do Paraná, campus Marechal Cândido Rondon (Brasilien), 14.-16.10.2019.

 

Dietlind Kremer

Leiterin des Namenkundlichen Zentrums der Universität Leipzig

 

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