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von Karlheinz Hengst, Leipzig

Heute, am 15. Mai, an seinem Geburtstag erinnern wir an Ernst Eichler. Die Wissenschaft hat 2012 einen großen Verlust erlitten, als der Gründer der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung e. V. und Vorsitzende dieser Gesellschaft von 1990 bis 2011 plötzlich verstarb. Als Schüler des bekannten Slavisten  Prof. Reinhold Olesch und Nachfolger von Prof. Rudolf Fischer hat er zusammen vor allem mit dem Germanisten und Siedlungshistoriker Prof. Hans Walther an der Universität Leipzig seit Ende der 60er Jahre die Onomastik international vertreten sowie die Leipziger Onomastische Schule begründet. Ernst Eichler war Präsident des XV. Internationalen Kongresses für Namenforschung 1984 in Leipzig, hat selbst seit 1969 an nahezu allen ICOS-Kongressen mitgewirkt und zahlreiche internationale wissenschaftliche Tagungen an der Universität sowie an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig geleitet. Seine Kontakte mit den Vertretern der Slavistik bzw. Onomastik in Polen, Tschechien, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Slovenien und Russland, aber zugleich auch in Österreich, in der Schweiz, in Belgien, Italien, Schweden, Norwegen  und anderen Ländern hat er kontinuierlich gepflegt – auch in Zeiten, als das oft. recht schwierig war. 

Ernst Eichler stammte aus dem nördlichen Böhmen, wurde in Niemes, heute Mimoň östlich Ústí nad Labem, geboren und musste nach dem Krieg seine Heimat verlassen. Nach dem Abitur in Delitzsch (Sachsen-Anhalt) studierte er Slavistik und Germanistik 1950–1954 in Leipzig. Seine in früher Jugend erworbenen Tschechischkenntnisse erleichterten ihm einen raschen Zugang besonders zu den westslavischen Sprachen, die schon bald unter der Anleitung von Reinhold Olesch, bis Januar 1953 Ordinarius für Slavische Philologie in Leipzig, sein Forschungsinteresse erregten. Noch in seiner Studentenzeit folgte er gemeinsam mit einzelnen Kommilitonen wie z. B. den späteren slavistischen Hochschullehrern Wolfgang Sperber und Walter Wenzel der Anregung von R. Olesch, das slavische Erbe im Deutschen zu erforschen. Dazu vertiefte er sich mit solcher Gründlichkeit z. B. in die Geschichte des Sorbischen, dass er bereits als Student in Spezialseminaren für den wissenschaftlichen Nachwuchs komplizierte historische Entwicklungsvorgänge ausführlich zu erläutern vermochte. Beispielhafter Fleiß, wissenschaftliche Akribie und außerordentliche Zielstrebigkeit ermöglichten ihm schließlich völlig überraschend für sein gesamtes Umfeld, bereits wenige Monate nach dem Universitätsexamen seine Dissertation einzureichen. Mit 25 Jahren wurde er 1955 von dem Slavisten Rudolf Fischer und dem Indogermanisten Maximilian Lambertz zum Dr. phil. promoviert. 

Ernst Eichler hat seine gesamte wissenschaftliche Laufbahn – den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen im Osten Deutschlands entsprechend – in Leipzig zurückgelegt, und auch nach der Wende 1989 ist er – mit Ausnahme einer Gastprofessur in Trier – seiner Universitätsstadt treu geblieben.

Der akademische Lebensweg ist ihm allerdings keineswegs leicht gemacht worden. Als er sich als Assistent der „Deutsch-Slavischen Forschungen“ mit einer Arbeit zur Wissenschaftsgeschichte habilitieren wollte, wurde ihm das als „ungünstig und unangebracht“ verwehrt. Daraufhin schrieb er dann seine „Studien zur Frühgeschichte slawischer Mundarten zwischen Saale und Neiße“, mit denen er sich 1961 habilitierte. Wenig später reichte er sein „Etymologisches Wörterbuch der slawischen Elemente im Ostmitteldeutschen“ ein, das 1965 im Domowina-Verlag in Bautzen erschien. Beide Nachschlagewerke sind bislang unentbehrliche Handbücher für Lehre und  Forschung zum westslavisch-deutschen Sprachkontakt seit dem Mittelalter. Erst nach der Habilitation wurde ihm eine Mitarbeiterstelle zugebilligt, dann folgte zunächst 1964 seine Berufung zum Dozenten, erst 1975 nach langen Jahren gesamtslavistischer Lehrtätigkeit dann die Ernennung zum ordentlichen Professor für Bohemistik und  slavische Sprachwissenschaft.

In seinem breiten wissenschaftlichen Lebenswerk mit Lehre, Forschungen und Publikationen vor allem zur Ost- und Westslavistik haben Bohemistik, Slovakistik und Sorabistik stets Schwerpunkte gebildet. Doch auch die Wissenschaftsgeschichte hat dauerhafte Aufmerksamkeit erfahren. Der Bogen spannt sich dabei von Studien zu den Anfängen slavistischer Betätigung in Deutschland sowie Untersuchungen und Abhandlungen über die Leistungen z. B. von August Leskien, Max Vasmer, Reinhold Trautmann in Leipzig über onomastische Arbeiten an der deutschen Universität in Prag bis hin zur kommentierten Neuedition bedeutsamer slavistischer Werke von außerakademischen Forschern wie Gustav Hey, Paul Kühnel und Ernst Mucke sowie auch des Russen Nikolaj Tupikov aus dem 19. Jh. Folgerichtig hatte Ernst Eichler dann auch die Leitung der Redaktion zu dem biographischen Lexikon „Slawistik in Deutschland von den Anfängen bis 1945“ (Bautzen 1993).

Vergleichend und konfrontierend ausgerichtete Beiträge zur slavischen Sprachwissenschaft bestimmten auch seine stete Mitwirkung an den internationalen Slavistenkongressen, zuletzt 2008 in Ohrid.  Gleiches gilt für die Wissenschaftskooperation mit Gelehrten in Polen, Tschechien und der Slowakei seit den 60er Jahren  sowie die Mitwirkung an zahlreichen Tagungen in diesen und anderen slavischen Ländern. Daraus erwuchs letztlich die Basis für die Verleihung des Dr. h.c. seitens der Comenius-Universität in Bratislava 1993, die Ernennung zum Außerordentlichen Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Künste (PAO) in Kraków 1997, die Verleihung der Ehrenmedaille der Karls-Universität in Prag 1998 und die Aufnahme in die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste in München..

Einen ganz zentralen Platz im Arbeitsleben von Ernst Eichler nehmen seit fast sechs Jahrzehnten die Forschungen zum deutsch-slavischen Sprachkontakt seit dem 10. Jahrhundert im heute deutschsprachigen Raum östlich der Saale ein. Bereits 1969 hat er nach dem Tod von Theodor Frings und Rudolf Fischer die Leitung der onomastischen Forschung für den Süden im östlichen Deutschland übernommen und gemeinsam mit dem Historiker und Germanisten Hans Walther eine umfassende Neuprofilierung der Arbeiten betrieben. Diese Leistungen schlugen sich seitdem nieder in den von beiden genannten Wissenschaftlern sowohl selbst verfassten als auch von ihnen  maßgeblich geprägten und herausgegebenen Bänden der Reihe „Deutsch-Slavische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte“ (bisher 41 Bände) sowie in zahlreichen Abhandlungen in Akademie-Organen und Fachzeitschriften des In- und Auslands. Internationale Anerkennung erfuhr die Leipziger onomastische Schule 1984 mit der Ausrichtung des 15. Internationalen Kongresses für Namenforschung, den Ernst Eichler als  Präsident in politisch schwieriger Zeit erfolgreich leitete. In bewundernswert geduldigerer Weise hat er es über Jahrzehnte verstanden, über „Mauern“ hinweg fruchtbare Wissenschaftsbeziehungen nach Ost und West und dabei auch über den deutschen Sprachraum hinaus nach Belgien, Norwegen, Schottland und Schweden zu entwickeln.

Mit besonderer Intensität hat sich der Jubilar auch seit 1970 dem deutsch-polnischen Kooperationswerk „Onomastica Slavogermanica“ gewidmet (bisher 26 Bände). Zuletzt bereitete er Band 28 zum Druck vor. Der plötzlich eintretende Tod hat ihm die Abgabe des Sammelbandes verwehrt. Als Mitglied der Kommission für Onomastik beim Internationalern Slavistenkomitee und Vorsitzender der Onomastischen Kommission beim hiesigen Slavistenkomitee war Ernst Eichler zwanzig Jahre auch über sein eigentliches Arbeitsgebiet hinaus wirksam. Durch seine Initiative entstand das von ihm geleitete DFG-Projekt „Historisches Ortsnamenbuch von Sachsen“ (1993–2001) mit einem dreibändigen Lexikon als Ergebnis. Und gleichzeitig leitete er auch über einige Jahre ein Projekt zur Erfassung der Toponymie in ehemals sorbischen Gebieten östlich der Neiße.

Im Prozess der Neustrukturierung der Universität und ihrer Philologischen Fakultät erreichte Ernst Eichler – neu berufen als „Professor für  Slawische Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte“ die für Deutschland einmalige Einrichtung einer Professur für Onomastik und eines Nebenfachstudienganges „Namenkunde“, der seit Beginn breiten Zuspruch besitzt. Dabei wird von den Studierenden geschätzt und genutzt, was der Jubilar an Nachschlagewerken bietet. Das ist insbes. sein nun in vier Bänden vorliegendes Kompendium „Die slawischen Ortsnamen zwischen Saale und Neiße“ (Bautzen 1985–2009) sowie das von ihm mit edierte dreibändige Welthandbuch zur Onomastik „Namenforschung/Name Studies/Les noms propres“ (Berlin, New York 1995/96) in der Reihe „Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft“ (HSK 11).

Als Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig seit 1978 etablierte er Anfang der 90er Jahre eine neue Arbeitsstelle in der Akademie, die einen mehrteiligen „Atlas altsorbischer Ortsnamentypen“ erarbeitete und publizierte. Aus langjähriger Forschung des Jubilars erwuchsen die besten Voraussetzungen, auch das Forschungswerk zum slavischen Erbe in Österreich sowie in Bayern, aber auch zu den deutschen Sprachspuren in Polen seit dem Mittelalter kontinuierlich zu unterstützen und durch aktive Zuarbeit zu fördern. Seine Mitwirkung am Regensburger Forschungsprojekt-Projekt „Bavaria Slavica“ (1996–2003) hat sich in zwei Monographien zu den Sprachräumen der Regionen um Bamberg und Bayreuth niedergeschlagen.

Seit 2007 wirkte Ernst Eichler gemeinsam mit dem Hallenser Rechtshistoriker Heiner Lück als Leiter des Akademie-Projekts „Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas“ und pflegte so erneut internationale Kooperation. Gleiches gilt für seine Tätigkeit als Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Namenkundliche Informationen/Journal of Onomastics“  sowie der neuen Buchreihe „Onomastica Lipsiensia“ (bisher inzwischen 14 Bände).

Ernst Eichler hat mehrfach von seinen zahlreichen Schülern sowie von den ihm besonders verbundenen Fachkollegen Ehrungen durch Kolloquien, Tagungen und in Festschriften mit Würdigungen und Schriftenverzeichnissen erfahren. Genannt seien „Studia Onomastica VI“, Leipzig 1990 (382 S), NI 69, Lpz. 1996 (S. 115ff.), NI 71/72, Leipzig 1997 (160 S.), „Wort und Name im deutsch-slavischen Sprachkontakt“, Köln, Weimar, Wien 1997 (569 S.), „Arbeitsblätter der  Kommission für Deutsch-Slawische Namenforschung“ Nr. 1, SAW Lpz. 2000 (70 S.), NI Beiheft 23 als „Festschrift [zum 75. Geburtstag]“, Lpz. 2005 (115 S.) sowie zuletzt „Namenkunde als Beruf(ung). Festvorträge zum 80. Geburtstag von Ernst Eichler“, Wien 2012.

Ernst Eichler war ein herausragender Vertreter der slavischen historischen  Sprachwissenschaft in Leipzig. Er galt über Jahrzehnte als der  Nestor der slavistischen Namenforschung in Deutschland.  Als  brillanter Wissenschaftler und stets hilfreicher Förderer des wissenschaftlichen Nachwuchses aus dem In- und Ausland hat er hohe internationale Wertschätzung  für seine Leistungen besonders in der Westslavistik  und speziell zur deutsch-slavischen Sprachkontaktforschung erfahren. Er hat an einer ganzen Reihe von europäischen Projekten mitgewirkt und hinterlässt ein reiches wissenschaftliches Erbe in Form von umfangreichen und gründlich gearbeiteten Nachschlagewerken. Die Slavistik und die Onomastik werden  die von ihm mit seinem Lebenswerk geschaffenen bleibenden Leistungen stets hoch schätzen und  auch stets dankbar zu nutzen bemüht sein, auch 2022, zehn Jahre nach seinem Tod.

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