Italienische Namen
1932 gibt es in Chemnitz Insgesamt rund 60 Personen/Familien mit italienischem FN; die Mehrzahl dieser Familiennamen ist heute hier nicht mehr nachweisbar. Alle entsprechenden Namenbildungen sind in Italien, oft in geringer Zahl, belegt und erlauben in vielen Fällen eine Eingrenzung der regionalen Herkunft. Aufgrund ihrer Vornamen sind unter diesen Personen nur 21 „echte“ Italiener, alle anderen tragen deutsche Vornamen. An einem Beispiel wie Mansuetto Caprara (Terrazzo-Arbeiter, seit 1909) und seiner Ehefrau Ella Caprara (Rohproduktehändlerin, ab 1923) und dem Sohn Ferdinand Caprara (seit 1934) zeigt sich die Integration derartiger Familiennamen. Die genauere Überprüfung in den verschiedenen Jahrgängen des Adressbuchs erlaubt in vielen Fällen, den Zeitpunkt der Einwanderung und die Familiengeschichte zu umreißen. Eine Monographie böte sich an.
In diesem ersten Beitrag einer kleinen Serie ‒ vorgesehen sind Bemerkungen zu gebietstypischen Namen1 und kuriose Familiennamen ‒ können nur einige wenige Namen beispielhaft herausgegriffen werden.2 Die Gesamtliste (ausgewertet wurden ausschließlich die Adressbücher) veranschaulicht aber das Interesse einer derartigen Zusammenstellung:
Hier behandelte Italienische FN in Chemnitz (Stadt) 1932:3
Alippi*, Andreazza*, Andretta*, Bandoli, Bellini, Bewilogua, Bisiachi*, Bonardy, Bonelli*, Bonvicin, Bordoni*, Borghesi, Brioschi, Brogli, Camesasca, Caprara*, Carmannini*, Cerutti, [Clavel], Covi, Da Giau*, Del Debbio, De Luca, D’Elsa, Derna*, D’Orlando*, Eremitaggio*, Failutti*, Frana, Giannechini, Gualtieri, Guglielmi, Lombardo*, Martinuzzi, Menotti, Nello*, Nigrini, Pellegrini, Piazza, Picasso, Plazzotta, Pratesi*, Prato, Quarte, Ravanello, Rinaldi, Rivola, Rompano, Rosnati*, Rossi*, Rotta, Salgo, Scarpat, Segadelli*, Simioni, Sorgato, Temborale, Tonizzo, Veronelli, Vicentini*, Zanotto*.
In anderen, meist älteren Ausgaben des Adressbuches begegnen u.a.
Argo, Bartoli, Belfi, *Belfin, Bernava, Beroni, Bonfiglio, Bonin, Calani, Calistri, Calliano, Camparini, Cappellaro, Caro, Carpo, Casiraghi, Cassella, Casta, Corsa, Cotta, Cotti, Cottini, D’Andrea, Da Sois, Debertolis, Debona, De Francesco, Delcotto, Del Fabbro, Dell’Antonio, Della Porta, De Pol, Diabola, Di Giustino, Facchini, Fant, Fanta, Fantini, Farago, Fior, Fonsara, Gabrielli, Galeotti, Ghezzi, Giacom, Giacomuzzi, Giovanoli, Lori, Marcelli, Marche, Odorico, Parisi, *Pianca, Piccoli, Quarina, Rosanelli, Rosatelli, Rossa, Scherzo, Soravia, Soravito, Toibero, Tomasi, Tomasini, Torani, Vigilante…
Die Physiognomie der italienischen Familiennamen4 ist auf den ersten Blick charakteristisch: sehr viele (aber keineswegs alle!) enden auf -i. Dieses morphologische Merkmal bedeutet immer „zu einer Familie gehörig“, Grundlage kann ein Rufname, ein Beiname oder ebenso ein Herkunftsname sein. Seine genaue Entstehung ist diskutiert: Einerseits könnte es ich um einen Genitiv „die Familie des N.N.“ (wie im Deutschen Namen auf -s, wie Peters usw.) handeln, doch gibt es im Italienischen keine Kasusflektion, das Lateinische war zur Zeit der Entstehung dieser Namen nicht mehr lebendig. Andererseits könnte es sich ich um eine Pluralform „die Mitglieder der Familie des N.N.“ handeln; doch stimmt das -i keineswegs immer mit der Ausgangsform überein. Offenbar handelt es sich um ein spezifisches Morphem, das ausgehend von der Genitiv- oder auch Pluralform die Zugehörigkeit zu einer Person/Familie kennzeichnet. Diese für uns Deutsche „typisch italienische“ Namenbildung ist allerdings keineswegs für ganz Italien charakteristisch, sondern nur für die Toskana und das nördliche Mittelitalien. Im Norden, Zentrum und Süden entspricht dieser Endung -o bzw. -a, oft mit der Präposition de. etwa Ferrari gegenüber Ferraro. Schließlich gibt es noch syntaktische Bildungen mit di, de oder da (mit entsprechenden Pluralformen) "von". Diese formalen Elemente erlauben oft eine regionale Zuordnung. Eine Besonderheit, die das Auffinden italienischer FN im deutschen Kontext erschweren kann, ist die ungewohnte Großschreibung und entsprechende alphabetische Einordnung von Artikel oder Präposition, wie etwa L‘, La, De, D‘, Del, Degli (La Croce, L’Abbate, Da Campo, De/Dei Amici, D’Acquino, Del Biondo, Della Volpe, Degli Stefani usw.). Auch in unserer Chemnitzer Dokumentation findet sich diese Unsicherheit: meist werden die Namen meist „falsch“ unter dem Namen eingeordnet, ab 1941 sind die Einträge korrekt (Giau da > Da Giau, Luca de > De Luca u.a.).
Noch problematischer als die korrekte „Alphabetisierung“ ist im deutschen Kontext die korrekte Aussprache. Besonders zu beachten ist die Bedeutung des -h- nach c- und g-. Diese Grapheme bedeuten immer die Aussprache als Verschlusslaut, also ch- = /k/ und gh-= /g-/, immer vor den Vokalen -e- und -i- (Chianti, Gherardo, Bisiachi, Brioschi, Borghesi usw.). Ansonsten werden c-/g- vor diesen Vokalen palatalisiert (cento, ciao, gentile, Giannequini, Giovanni), was als „typisch“ für die Aussprache des Italienischen empfunden und damit generalisiert wird. Ungewohnt ist ebenfalls die Schreibung elgi/ilgi (= /lj/), etwa in meglio oder Bonfiglio, Brogli usw. Schwierig ist im Deutschen die Wiedergabe der langen (doppelten) Konsonanten wie -cc- -ll- -pp- -tt- (Facchini, Bellini, Alippi, Andretta usw.), allerdings ist die Unterscheidung auch im Norditalienischen schwierig.
Will man unsere Chemnitzer Namen italienischer Herkunft überprüfen, stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Das beste und umfangreichste Familiennamenbuch ist DCI. Für die oft so wichtige detaillierte Frequenzangabe und Kartierung gibt es inzwischen verschiedene Angebote. Im Folgenden benutze ich das projektinterne PatRom-Gesamtverzeichnis der Steuerpflichtigen Italiens aus den 80er Jahren. Anders als in Deutschland (nur Telefonanschlüsse) kann man hier und in anderen Ländern (insbesondere Spanien) auf die Gesamtbevölkerung zurückgreifen. in den deutschen Standardwerken zu Familiennamen5 findet man mit etwas Glück wichtige Namen und rudimentäre Erklärungen; allerdings zählen unsere Chemnitzer Namen nicht unbedingt zu den häufigsten.6 Als ergänzende Information angesichts der weltweiten Emigration aus Italien kann ein Blick in forbears.io (Namenverbreitung) und das DAFN nützlich sein, hier mache ich gelegentliche Verweise.
Nicht im Einzelnen behandelt werden hier die Vornamen7. Das Corpus bietet eine Reihe von interessanten Fällen, insbesondere aber die „Verdeutschung“ oder der Namenwechsel mit der Integration verdienten eine vertiefte Untersuchung. Dazu müsste allerdings die Chronologie (oder Familiengeschichte) jeder Familie erstellt werden. Man beachte im Folgenden Beispiele wie Ermanno/Hermann (Bisiachi), Josef Angelo (D’Orlando) oder Luigi Paolo > Alois > Luigi (Vicentini). Insgesamt scheint aber, den Vornamen nach zu urteilen, die große Mehrzahl der Familien integriert (deutsch) zu sein.
Zur Illustration werden hier die Namenbeispiele ausgehend vom Adressbuch 1932 herausgegriffen (s. u.). Für die Namenerklärungen stütze ich mich hauptsächlich auf das DCI, die Namenfrequenzen entnehme ich den PatRom-Materialien. Das Gesamtcorpus böte Material für ein kleines Namenbuch, vor allem unter Berücksichtigung aller Chemnitzer und der Leipziger und (historisch) insbesondere Dresdner italienischen Familiennamen. Für diese beiden Städte wurden in Leipzig die Adressbücher aus dem Jahr 1937 informatisiert und weitere historische Belege zusammengestellt.
… Die Namenbeispiele ausgehend vom Adressbuch 1932 folgen in der Fortsetzung (s. Chemnitz und seine Familiennamen –Teil 3)!
Verweise:
1Als Ergänzung zum grundlegenden Werk von Volkmar Hellfritzsch, Personennamen Südwestsachsens. Die Personennamen der Städte Zwickau und Chemnitz bis zum Jahre 1500 und ihre sprachgeschichtliche Bedeutung, Leipzig 2007 (= Onomastica Lipsiensia, 5).
2Vgl. dazu auch Dieter Kremer, Chemnitzer Familiennamen. Eine Skizze, in: Onomastik – Bestandsaufnahmen und Zukunftsperspektiven (…), hg. von Peter Ernst und Stephan Gaisbauer, 2024 (= Österreichische Namenforschung, N.F. 1), 147-173 (hier 169-172).
3Personen mit italienischem Vornamen sind mit Asterisk gekennzeichnet, alle übrigen Personen tragen „deutsche“ Rufnamen.
4Vgl. zu dieser Thematik und allgemein zu den italienischen Familiennamen in Deutschland die guten Beiträge von Brendler, Dräger und Lobin.
5Unter den zahlreichen allgemeinen Darstellungen sind besonders ertragreich: Brechenmacher, DUDEN, DFD…
6Zur Verbreitung italienischer Familien(namen) in der Welt vgl. Enzo Caffarelli (ed.), Nomi italiani nel mondo, Roma 2015 (= QuadRIOn 5). Leider wird Deutschland hier nicht erfasst.
7Für Italien steht eines der besten Vornamenbücher überhaupt zur Verfügung, siehe NPI.