Nach dem Philosophie- und Literaturstudium an der TU Dresden, der Nationalen Mečnikov-Universität Odessa, der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität und der RGGU Moskau wechselte Jan Schaldach 2019 an die Universität Leipzig, wo er zunächst am Institut für Germanistik und später am Institut für Slavistik forschte. Die Universität Leipzig bot ihm dabei beste Voraussetzungen für die Durchführung seines Promotionsvorhabens, nicht zuletzt durch den Heimvorteil, den die Stadt mit ihrer etablierten DDR-Forschung bietet.
Forschung unter erschwerten Bedingungen
Die Promotionszeit von Jan Schaldach fiel in eine Phase, die für viele Forschende herausfordernd war. Sie begann mitten in der Corona-Pandemie mit all ihren Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Alltag. Im Februar 2022 musste er zudem einen Forschungsaufenthalt in Sankt Petersburg abbrechen, nachdem das Programm infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eingestellt wurde. Trotz dieser Rückschläge blieb der Fokus klar. Die guten Bedingungen in Leipzig und der Region halfen, vieles aufzufangen, und ermöglichten es ihm, sich ganz auf den Kern seiner Forschung zu konzentrieren.
Theorietransfer statt Sowjetisierung
Ziel der Dissertation ist es, erstmals Transferprozesse zwischen der Literaturwissenschaft der Sowjetunion und derjenigen der DDR zu rekonstruieren. Dafür analysiert der Forscher die Aufnahme und Verarbeitung von drei zentralen sowjetischen Denkschulen und ihren Kontexten, die auch in der westlichen Welt intensiv wahrgenommen wurden: die komparatistischen Arbeiten Viktor Žirmunskijs, den Russischen Formalismus und das Werk Michail Bachtins. Die Arbeit rekonstruiert darüber hinaus noch andere, ganz wesentliche Ereignisse und Diskussionsfelder aus der Fachgeschichte der DDR-Literaturwissenschaft und eignet sich deshalb auch, um Überblickswissen zu diesem bislang wenig aufgearbeiteten Gebiet zu vermitteln.
Der große Bruder Sowjetunion und die kleine, ideologisierte Nachzüglerin DDR… Diese beiden historischen Stereotype halten sich bereits lang und sind so bequem, dass es irgendwie auch schwerfällt, sie aufzugeben. Die Ergebnisse von Jan Schaldachs Arbeit zeigen jedoch, dass der Theorietransfer stärker auf einem internationalen Gefüge aufbaut als auf dem häufig gebrauchten Erklärungsmuster der Sowjetisierung. So wird beispielsweise eine Leipziger literaturwissenschaftliche Konferenz von 1959 mithilfe von Archivmaterialien erstmals ausführlich aufgearbeitet, die als Präzedenzfall für die Durchsetzung eines neuen, parteilichen Wissenschaftsverständnisses gelten kann und weit über Leipzig hinaus ausstrahlte. Die auf dieser Konferenz erkennbaren, neu festgelegten Grenzen der wissenschaftlichen Diskussion prägten die Eigendynamik der DDR-Literaturwissenschaft auch noch in den 1960er Jahren.
Warum das heute noch relevant ist
Jan Schaldachs Forschung eröffnet neue Perspektiven auf ein bislang wenig beachtetes Kapitel der DDR-Geschichte: die Entwicklung und Eigenlogik ihrer Literaturwissenschaft. Seine Dissertation schafft erstmals einen fundierten Überblick über theoretische Debatten, die jahrzehntelang im Schatten ideologischer Zuschreibungen standen. Gleichzeitig zeigt die Arbeit, wie differenziert der wissenschaftliche Austausch in der sowjetischen Einflusszone tatsächlich war. Statt die DDR-Literaturwissenschaft als bloßen Ableger sowjetischer Theorien zu verstehen, wird deutlich: Auch unter ideologischen Rahmenbedingungen gab es kreative Aneignungen, kritisches Denken und fachliche Offenheit.
Gerade deshalb ist die Arbeit heute relevant, denn noch immer werden Länder des sogenannten Ostblocks häufig über einen Kamm geschoren. Es lohnt sich, mit historischem Abstand genauer hinzusehen: Viele frühe Bewertungen der DDR-Forschung waren stark von persönlichen Einstellungen und politischen Debatten geprägt. Jetzt ist die Zeit, um diese Geschichte differenziert und sachlich aufzuarbeiten. Jan Schaldachs Arbeit leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Eine Veröffentlichung der Dissertation ist für 2026 geplant.