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Wie sich das Sprechen über Extremismus in öffentlichen Debatten verändert – und wie sich diese Veränderungen mit digitalen Methoden sichtbar machen lassen: Das hat Tim Feldmüller in seiner Promotion an der Philologischen Fakultät untersucht. Mit großen Textsammlungen, sogenannten Korpora, und eigens entwickelten Visualisierungen zeigt er, wie sich mediale Darstellungen von Extremismus in den letzten zwei Jahrzehnten gewandelt haben.

Nach dem Abitur in Wuppertal verschlug es Tim Feldmüller 2012 zum Studium nach Leipzig. Hier absolvierte er sowohl den Bachelor- als auch den Masterstudiengang Deutsch als Fremd- und Zweitsprache am Herder-Institut der Philologischen Fakultät. Von 2020 bis 2024 promovierte er an unserer Fakultät bei Prof. Oliver Czulo, der am Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) lehrt und forscht. Eigene Forschungsaufenthalte am Deutschen Seminar der Universität Zürich und eine Anstellung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf begleiteten diese Zeit. Seit Oktober 2023 forscht er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim.

Wenn Milliarden Wörter Muster zeigen

In seiner Dissertation arbeitete Tim Feldmüller mit sogenannten Korpora – sehr großen Textsammlungen mit mehreren Milliarden Wörtern. Sein Ziel: herauszufinden, wie über Extremismus gesprochen wird. Dafür untersuchte er Zeitungsartikel aus TAZ, SPIEGEL und WELT aus den Jahren 1999 bis 2021.
„Mich hat interessiert, wie sich die Darstellung von einzelnen Extremismusvarianten im Laufe der Zeit verändert und welche sprachlichen Muster sich dabei erkennen lassen“, erklärt er. Mit digitalen Methoden, die die Häufigkeit und Verteilung von Wörtern analysieren, ließ sich herausarbeiten, welche Eigenschaften den verschiedenen Extremismusformen zugeschrieben werden. So wurde etwa Islamismus konstant mit Gewalt und Kriegen assoziiert, während Gewaltpotenziale des Rechtsextremismus zwischenzeitlich medial in den Hintergrund rückten – bis zur Aufdeckung des NSU 2011.

Wenn Worte Wirklichkeit schaffen

Warum das relevant ist? „Wie einzelne Themen in Medien dargestellt werden, spiegelt und prägt zugleich gesellschaftliche Debatten“, sagt Tim Feldmüller. Extremismus ist ein stark umkämpfter Begriff – nicht nur politisch, sondern auch in der Forschung. Umso wichtiger sei es, empirisch zu untersuchen, wie er verwendet wird.
Zudem rücke mit dem Aufstieg von sogenannten Large Language Models – also KI-basierten Sprachmodellen wie ChatGPT, die mit riesigen Textmengen trainiert wurden, um Sprache zu verstehen und zu erzeugen – zunehmend die Frage in den Fokus, wie sich aus solchen Textdaten verlässliche Erkenntnisse gewinnen lassen. „Korpuslinguistische Methoden leisten hier einen wichtigen Beitrag“, betont der Forscher, weil sie systematische Verfahren bereitstellen, um große Textmengen empirisch nachvollziehbar zu machen. So zeigt sich auch in der Arbeit von Tim Feldmüller, dass sich sprachliche und realweltliche Zusammenhänge als sprachliche Muster im Korpus niederschlagen. Anders als bei Large Language Models lassen sich diese Zusammenhänge hier jedoch im Detail nachvollziehen und an einzelnen Wörtern oder Wort-Clustern sichtbar machen.

Daten, die überraschen

Besonders gefreut hat ihn, wie gut sich bestimmte Wort-Cluster automatisch aus den Daten ableiten ließen. „Ich war überrascht, wie viel man allein aus den Visualisierungen herauslesen konnte – da steckte mehr drin, als ich erwartet hatte“, erzählt er. Die verwendeten Algorithmen und Sprachmodelle wissen nichts über Extremismus – und doch fördern sie Wort-Cluster zu Tage, wie z. B. [rechtsextrem, rechtsradikal, antisemitisch, rassistisch, …]. Sie erkennen also, mit welchen Wörtern die untersuchten Medien typische Eigenschaften des Rechtsextremismus ansprechen. Gerade diese Verbindung von quantitativen Methoden mit gesellschaftlichen Fragestellungen sei für ihn besonders spannend gewesen.
Die Ergebnisse seiner Arbeit weisen darauf hin, wie wichtig es ist, mediale Kommunikation genau unter die Lupe zu nehmen. Dass etwa das Gewaltpotenzial von Rechtsextremismus in den 2000er Jahren und bis zur Aufdeckung des NSU eine vergleichsweise kleine Rolle in der Berichterstattung – und mithin womöglich auch im gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein – gespielt hat, erscheint dem Forscher ein Fehler zu sein. Diese Zusammenhänge lassen sich aber auch nicht alleine aus linguistischer Perspektive beurteilen, sondern bedürfen der Zusammenarbeit mit anderen Fächern wie der Soziologie oder Politikwissenschaft, betont Feldmüller.

Was kommt danach?

Auch nach seiner Promotion bleibt Tim Feldmüller der Forschung treu – und seinem Thema ebenso: „Ich forsche weiter zu digitalen Methoden und großen Korpora, mit dem Ziel, durch Sprache etwas über unsere Gesellschaft zu lernen“, sagt er. Am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim setzt er seine Arbeit fort und forscht unter anderem derzeit im vom BMBF geförderten Projekt „KoKoKom“. Das Projekt untersucht, wie in polarisierten Debatten, zum Beispiel zu Klimawandel, Corona oder Gender, gemeinsames Wissen als Grundlage für Verständigung geteilt, verändert oder auch bewusst zerstört wird. Ziel ist es, mithilfe linguistischer Methoden Strategien zu entwickeln, die Verständigung fördern und gesellschaftliche Polarisierung verringern.  
Für Tim Feldmüller ist klar: Sprache formt Realität. Und wer verstehen will, wie gesellschaftliche Konflikte geführt werden, muss genau hinschauen, wie wir darüber sprechen.