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Germanistin Sarah Bender hat in ihrer Promotion den Einfluss der Figur des Teufels auf das Gewissen von Gläubigen im Mittelalter untersucht und dabei unter anderem Strategien aufgedeckt, die heute noch bei der Verbreitung von Fake News von Bedeutung sind.

Heutzutage wird der politische Diskurs spürbar von bewusst gestreuten Falschinformationen durchsetzt und beeinflusst. Diese werden häufig durch absolute Feindbilder und scherenschnittartige Zeichnungen der aktuellen Situation vermittelt. Stellt diese Art der Überzeugung ein Produkt der Neuzeit dar oder gibt es historische Parallelen, aus denen wir Lehren für den aktuellen Diskurs ziehen können? Tatsächlich belegt die wissenschaftliche Betrachtung von Texten an der Schnittstelle zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, insbesondere aus der Zeit der Reformation, eine Zunahme von schwarz-weißen Figurenzeichnungen, die aktuellen Fake News-Erzählungen nicht unähnlich sind.

Ein historisches Feindbild und Verkörperung des absolut Bösen ist die Figur des Teufels. Das Promotionsprojekt von Sarah Bender zeigt auf, wie sich der Teufel, der eine wichtige Rolle bei der mittelalterlichen Gewissensbildung spielte, von einer facettenreichen und sogar teils komischen Figur im Spätmittelalter zum heute bekannten eindimensional bösen Charakter wandelte.

Über die lange Geschichte des Gewissens

Nach einem Bachelorstudium der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft mit Französisch im Nebenfach sowie einem Master in Mittelalter- und Renaissance-Studien in Freiburg im Breisgau ging es für die Wissenschaftlerin erst im Rahmen ihres Promotionsprojektes nach Leipzig, wo sie unter der Betreuung von Sabine Griese zur Rolle des Teufels für die Gewissensbildung forschte. 

Darin beschäftigte sich Bender mit mittelalterlichen Textzeugnissen unterschiedlicher Gattungen und Genres geistlicher und weltlicher Literatur – darunter Predigten, Legenden, Dichtung genauso wie Rechtstexte und naturwissenschaftliche Texte –, ebenso wie mit dem theologischen Diskurs um das moralische Bewusstsein. Auf der Grundlage einer Analyse zu Bedeutungen des deutschsprachigen Wortes „gewissen“ in den verschiedenen Texten fand sie heraus, dass dieses Wort seit dem 12. Jahrhundert in geistlichen Texten und schon ein Jahrhundert später in weltlichen Texten als Bezeichnung für das moralische Bewusstsein auftaucht, so wie es auch heute noch geläufig ist.

Aufbauend auf dieser breiten Analyse wandte sich die Germanistin der Dichtung „Des Teufels Netz“ aus dem 15. Jahrhundert und damit der Untersuchung der Teufelsfigur zu. Sie untersuchte dabei, wie der Teufel und seine Knechte (die Hauptsünden) dazu eingesetzt werden, das Gewissen der Rezipient*innen anzusprechen und sie zur Einsicht in ihre Sünden sowie zur Besserung ihres Lebenswandels zu bewegen. „Dazu vermittelt der Teufel Orientierungswissen, also Inhalte, an denen sich die Gläubigen für ihre individuelle Gewissensbefragung orientieren sollen“, so Bender. Eine solche Reflexion wird mithilfe von narrativen Strategien möglich, die eine Identifikation mit den vom Teufel verführten Sünder*innen provozieren: Auf diese Weise spricht der Teufel den Rezipient*innen des Textes ins Gewissen. Ganz im Gegensatz dazu steht laut Bender die Teufelsvorstellung nach der Reformation, in welcher der Teufel nur noch als Drohgebilde für die unreflektierte Übernahme der jeweiligen Textinhalte dient. Besonders der Wandel der Figur durch die politischen und sozialen Umbrüche der Zeit kann der Wissenschaftlerin zufolge als historischer Spiegel für die aktuelle Zeit dienen.

Welche Macht von Literatur ausgehen kann – in Zeiten von Fake News

Das Promotionsprojekt von Bender liefert somit einen Einblick in die Entwicklung unseres modernen Wertesystems und in die Rolle von gesellschaftlichen Normen für die Gewissensbildung bis heute. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei dem Spannungsfeld zwischen vielschichtigen, mehrdeutigen Figuren und eindeutigen, klaren Figuren zu – nur erstere fordern die Rezipient*innen zu einer Beschäftigung mit den Textinhalten auf. Mit anderen Worten: Einfache Lösungen sind häufig nicht nur inhaltlich falsch, sie regen auch selten zur Beschäftigung mit dem darunterliegenden Problem an. „Vor allem auch vor dem aktuellen Hintergrund von Fake News und Populismus lässt sich dies beobachten“, so die frisch Promovierte.