Prof. Dr. Charles Bonn war Lehrstuhlinhaber für Komparatistik (französische und frankophone Literatur - Université Lyon) und Dr. h.c. der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig (2007). Er war über viele Jahre hinweg ein geschätztes Mitglied des ehemaligen „Frankophonen Forschungsseminars“ (2009-2015) an unserem Institut sowie der Maghreb-Forschung an unserer Universität. Zudem war er Forscher der Alexander von Humboldt-Stiftung im Rahmen der Sonderforschungsförderung im Programm „Förderung und Netzwerke“ am Institut für Romanistik.
Charles Bonn und Prof. Dr. Alfonso de Toro haben über viele Jahre akademisch und persönlich zusammengearbeitet. Mit der deutschen Frankoromanistik war er eng verbunden und genoss hier großes Ansehen. Er zählte zu den Gründern der franko-maghrebinischen Forschung, zunächst mit einem Schwerpunkt auf der algerischen Literatur- und Kulturwissenschaft, dann auf der Literatur Marokkos und schließlich des gesamten Maghreb. Er war bereits 1969 in Algerien (Constantine) als Lektor, später dann als Gastprofessor an verschiedenen Forschungseinrichtungen tätig. Er scheute keine Mühe diesen Forschungsbereich zu fördern. Dank seiner regen und höchst anspruchsvollen Veröffentlichungen gelang es ihm, die Maghreb-Forschung in Frankreich einzuführen und diese zugleich auch international zu etablieren, trotz erheblicher Widerstände.
Die Breite seiner Forschung war erstaunlich. Sie umfasste nicht nur genuine Themen des Faches, sondern er arbeitete mit einem transdisziplinären Ansatz, insbesondere mit den Geschichts- und Sozialwissenschaften sowie mit der Anthropologie und v.a. mit der Psychologie, hier besonders mit der Psychoanalyse, und nicht zuletzt mit Migration- und Diasporawissenschaften. Auch seine Tätigkeit als Autor und Herausgeber war kaum zu übertreffen. Die Liste seiner gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen veröffentlichten Sammelbände ist lang.
Ferner zeichnete ihn seine Uneitelkeit, Großzügigkeit, Gastfreundschaft, Offenheit und Begeisterungsfähigkeit aus. Prof. de Toro lernte Charles Bonn im Rahmen der Universitätspartnerschaft mit der Universität Lyon 2 in den 2000er Jahren kennen. In der Folge entwickelte sich eine sehr intensive Kooperation, die zu gegenseitigen Vortrags- und Seminareinladungen führte. Der Höhepunkt dieser Zusammenarbeit mündete in den ersten internationalen und von der DFG geförderten Kongress am „Ibero-Amerikanischen Forschungsseminar Leipzig“ in Kooperation mit ihm und der Universität Lyon 2 zum Thema „Prozesse und Strategien der Hybridität im frankophonen Maghreb“ (29.05.- 02.06.2007), bei dem eine große Zahl von ausgewiesenen Forschern*innen aus dem Maghreb vertreten war. Im Jahr 2008 wurde dann eine vom DAAD geförderte zweiwöchige Wissenschaftsexkursion nach Marokko mit der aktiven Beteiligung von Charles Bonn durchgeführt. Darauf folgte ein internationaler, ebenfalls von der DFG geförderter Kongress mit dem Titel „Prozesse und Strategien der Hybridität 2 – Ein Neudenken von Maghreb und Europa. Hybridisierungen – Métissages – Diasporisationen am Beispiel ihrer Literatur und Kultur“, dieses Mal am „Frankophonen Forschungsseminar“, das im Jahre 2008 Dank der Unterstützung von Charles Bonn am Institut für Romanistik gegründet wurde. In den darauffolgenden Jahren wurden Forschungsprojekte und zahlreiche gemeinsame Publikationen in Angriff genommen, was dazu beitrug, die Maghreb-Forschung in Deutschland mit einem Schwerpunkt in Leipzig zu etablieren.
Sein letztes Buch, das Charles Bonn zurück zu den Ursprüngen seiner Laufbahn führte, war eine Art Vermächtnis: Lectures nouvelles du roman algérien. Essai d’autobiographie intelectuelle (2016).
Es bleibt noch zu betonen, dass Charles Bonn ein Teamplayer war, der es genoss, mit anderen zusammenzuarbeiten. So war er nicht nur ein unermüdlicher Forscher, sondern auch ein leidenschaftlicher Lehrer, der unter anderem Generationen von jungen maghrebinischen Akademikern*innen gefördert, betreut und ihnen die Möglichkeit eröffnet hat, in Frankreich zu studieren. Die Anzahl seiner v.a. aus dem Maghreb stammenden Doktoranden*innen ist geradezu legendär.
Er hat nachhaltige Spuren in der Wissenschaft und akademischen Gemeinschaft hinterlassen. Wir alle sind zutiefst erschüttert. Wir haben einen Freund und einen hervorragenden und engagierten Akademiker verloren. Unser aufrichtiges und tief empfundenes Beileid gilt seiner Familie und den Freunden.