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Die Generation Instagram weiß, wie man Bilder wirkungsvoll in Szene setzt und mit entsprechenden Texten versieht, um ein möglichst großes Publikum anzusprechen. Aber wie lassen sich diese Texte von einer Sprache in die andere übersetzen und welche Herausforderungen müssen dabei überwunden werden? Professor Oliver Czulo (IALT) und seine Studierenden widmen sich diesen Fragen und arbeiten an Lösungsstrategien für Übersetzer:innen.

Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte, aber was passiert, wenn ein Bild bereits zusammen mit einem Text veröffentlicht wird? Gemeinsam mit elf Studierenden, allesamt aus dem B. A. Translation, beschäftigt sich Oliver Czulo, Professor für Übersetzungswissenschaft, mit der Problematik, derartige Texte von einer Sprache in die andere zu übersetzen. Was auf den ersten Blick vielleicht recht einfach erscheint, erweist sich beim näheren Hinsehen schnell als komplexe Aufgabe.

„Das fängt schon beim Datensatz an, mit dem wir arbeiten“, erklärt Czulo. „Die Texte darin werden im Englischen als captions bezeichnet, was im Deutschen  mit Bildunterschrift oder Bildbeschreibung wiedergegeben werden könnte. Diese Texte sind aber eine Mischung aus beidem. Wie soll ich sie also benennen?“ Czulos Projektseminar bietet den Studierenden die Möglichkeit, sich mit genau solchen Fragestellungen und Feinheiten beim Übersetzen zu befassen.

Digitalisierung in der Übersetzung

Oliver Czulo selbst studierte Computerlinguistik und interessiert sich im Rahmen seiner Forschungstätigkeiten unter anderem dafür, wie die seit inzwischen dreißig Jahren breit stattfindende Digitalisierung in der Übersetzung diese beeinflusst. Daran schließt die Lehrveranstaltung gut an: In einer internationalen Bilddatenbank analysieren Studierende Übersetzungen von Bildbeschriftungen aus dem Englischen ins Deutsche und werden dabei für mögliche Probleme sensibilisiert, mit denen sie im Rahmen von Übersetzungen immer wieder konfrontiert werden.

„Das Besondere an dem Seminar ist, dass wir so vieles gemeinsam als Gruppe entwickeln können“, schildert Czulo. „Die Bilddatenbank und die Software dafür sind ganz neu, die Studierenden können hier also miterleben, wie ein derartiges Projekt aufgebaut wird, wo es technische Herausforderungen gibt und wie man dafür Lösungsvorschläge erarbeiten kann.“ Gleichzeitig können die Studierenden ihre schon erworbenen Übersetzungspraktiken und Kompetenzen vertiefen und reflektieren – und sich dabei auch ihrer eigenen, kulturell geprägten Position bewusst(er) werden.

Was muss beachtet werden, damit Bildbeschriftungen gut verstanden werden?

Was in der Theorie eher abstrakt klingt, wird anhand eines Beispiels schnell einleuchtend: Ein Bild der Datenbank zeigt ein Wohnhaus einer typischen New Yorker Straßenszene, in der Beschriftung ist von door steps die Rede. Im Deutschen wird das Ganze wiedergegeben mit Stufen vor einer Haustür. „Das ruft ein anderes Bild hervor, was allerdings am kulturraumspezifischen Kontext liegt“, erklärt Oliver Czulo. „In Deutschland sind solche Vortreppen an Häusern weniger typisch als in den USA. Das muss beim Übersetzen berücksichtigt werden, damit das Bild und die Beschriftung auch im Deutschen gut funktionieren und verstanden werden.“

In der Lehrveranstaltung selbst ist es Czulo wichtig, viel Raum für Diskussion einzuplanen, sodass sich die Studierenden untereinander und mit ihm darüber austauschen können, nach welchen Richtlinien sie Analysen anfertigen und warum ihnen eine Bildbeschriftung problematisch erscheint. Über ein gemeinsam genutztes Etherpad können die Studierenden ihre Fragen und Eindrücke jederzeit festhalten. Das ist besonders relevant, da die Studierenden am Ende des Semesters ihre Beobachtungen hinsichtlich der Texte und Übersetzungen sammeln und im Rahmen eines Projektberichts versuchen, diese zu strukturieren und mögliche Lösungsansätze zu präsentieren – eine komplexe Aufgabe, an die sie Stück für Stück herangeführt werden.

„Alle Studierenden bekommen einen eigenen Datensatz aus der Datenbank zugewiesen, mit dem sie im Laufe des Semesters eigenständig arbeiten“, berichtet Professor Czulo. So können sie üben, mögliche Problemfälle herauszufiltern, also Abweichungen zwischen Bild und dazugehörigem Text festzustellen, und Übersetzungen von Bildbeschriftungen vom Englischen ins Deutsche zu analysieren. Gerade durch den Austausch, sowohl mit Kommiliton:innen als auch mit dem Dozenten, wird der Blick für Abweichungen zwischen Bild und Text geschärft.

Wann sind Bildbeschriftungen und Übersetzungen problematisch?

Gemeinsam erarbeitet der Kurs eine Sammlung an Richtlinien, die den Studierenden dabei helfen sollen, die in der Datenbank schon vorhandenen Übersetzungen zu analysieren. Ein wichtiges Kriterium ist etwa auch die Frage danach, ob eine Bildbeschriftung in irgendeiner Form ethisch problematisch ist. Die theoretische Grundlage dafür bilden wissenschaftliche Texte, aber in der Praxis zeigt sich rasch, dass hier Fingerspitzengefühl und ein sehr genaues Verständnis für unterschiedliche Kulturräume nötig sind.

„Ein Bild zeigt ältere Menschen, die miteinander Boule spielen“, erzählt Czulo. „Die übersetzte Bildbeschriftung sagt: Eine Gruppe Rentner spielt im Park Boule. Ist ein Aspekt der Beschriftung oder Übersetzung problematisch? Weshalb, oder weshalb nicht?“ Im Seminar diskutieren die Studierenden dann, inwiefern Texte von einer möglichst neutralen Beschreibung abweichen und in welche Richtung. Problematisch wird es in der Regel dann, wenn eine Form von Ausgrenzung oder Abwertung stattfindet.

„In diesem Beispiel kann man sich fragen, ob der Begriff Rentner in diesem Kontext abwertend gemeint sein oder verstanden werden könnte“, schildert Professor Czulo. „Um solche Aspekte besser einschätzen zu können, ist es wichtig, unterschiedliche Perspektiven auf den Begriff zu erhalten. Abweichungen von einer möglichst sachlichen Beschreibung bedeuten nicht automatisch, dass diese Texte auch ethisch problematisch sind.“ Statt also nur einer starren Vorgabe zu folgen, nämlich Abweichung = ethisches Problem, ist es vielmehr wichtig, dass die Studierenden ein Gespür dafür entwickeln, inwiefern verschiedene Übersetzungen von Bildbeschriftungen zu Unterschieden in der Perspektive führen.

So üben die Studierenden in ihrem Projektbericht, worauf sie später für ihre Hausarbeit zurückgreifen müssen: Sie planen eine Analyse, führen diese strukturiert durch und können am Ende die Ergebnisse bewerten und kontextualisieren. „Zwei Anfragen für Abschlussarbeiten in diesem Themenbereich habe ich bereits bekommen“, freut sich Oliver Czulo. Großes Interesse der Studierenden an dem Thema ist also vorhanden, nun gilt es zu prüfen, welche Aspekte der Lehrveranstaltung vielleicht in das Kerncurriculum übernommen werden können.

 

  • Fokus: Lehre. Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT), Projektseminar „Framesemantische Annotation und vergleichende Analyse von Bildern“ im Modul 04-005-1011-E – eine von über 800 philologischen Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2022/23.